Ein glänzender Apfel

LEBENSWERK Rita Preuss ist eine Malerin, die alt werden musste, um ihren künstlerischen Durchbruch zu erleben. Seitdem explodiert es aber in ihr. Berlinerin ist sie trotz mancher Widrigkeiten ihr Leben lang geblieben

VON WALTRAUD SCHWAB

Ein Glück für Rita Preuss, dass sie alt geworden ist. 85 Jahre alt bis jetzt. Denn erst nach dem Tod ihres Mannes, 1996 war das, kam die Künstlerin richtig zum Zug. „Weil ich plötzlich frei war“, sagt sie. Den Satz will sie nicht so verstanden wissen, als sei die Ehe unglücklich gewesen. Aber die Liebe und die Lebensentwürfe einer Frau, die zwängen eine aus ihrer Generation schnell ins konventionelle Korsett.

Nachdem sie aber den Schock des Todes ihres Mannes überwunden hatte, explodierte etwas in ihr. Die künstlerische Zurückhaltung gab sie auf, die Farben, die sie benutzte, wurden kräftig, die Formate groß. Anstelle der einfachen Dinge, die sie bisher oft malte – Abstellkammern, Schwarzbrotstullen oder Fischköpfe – und der Porträts von Menschen, die gern übersehen werden – Obdachlose, Bettler oder Punks –, setzte sie nun Paläste, Schlossgärten, Liebeslauben ins Bild.

Preuss ist eine Malerin, die dem über Jahrzehnte verpönten Realismus treu geblieben ist. Mit den Dingen des Lebens beschäftigt sie sich, und diese zeigt sie auch. Deshalb die Stillleben von Weggeworfenem, deshalb die vielen gemalten Straßenszenen. Deshalb die Selbstporträts, in denen sie sich heulend, verschnupft, trauernd zeigt: „Ich bin eine Beobachterin. Mit geschlossenen Augen lauf ich nicht rum.“

Die 1924 geborene Preuss hat während des Krieges bei Siemens eine Lehre als Schlosserin und technische Zeichnerin gemacht. Als sie 1946 den Resten ihrer Familie verkündet, dass sie Kunst studieren will, sind die fassungslos. Kunst passte nicht zum Wiederaufbau, den sich das Kollektiv nach dem Krieg verordnet hatte. Kunst, das war Individualismus, Kunst, das war Armut. Bettelarm war sie am Anfang.

Auch aus diesem Grund riet man ihr in den Fünfzigerjahren, in die angewandte Kunst zu gehen. An fast vierzig Gebäuden in Westberlin gestaltet sie zwischen den Jahren 1955 und 1993 Wände, Fassaden oder Fenster. Meist sind es Mosaike, die sie legt. Das größte ist 56 Quadratmeter groß. Oft verbergen sich komplexe Geschichten in den Mosaiken: Weltuntergänge, Welterklärungen, Weltenläufe. „Aber angewandte Kunst wird in der Öffentlichkeit nicht ernst genommen“, sagt sie. „Arbeit hat mich in meinem Leben oft gerettet“, sagt die Künstlerin. Farbmächtig malt sie nach dem Tod ihres Mannes alle Orte, an denen sich Kronprinzessin Viktoria von Preußen aufhielt. Zu allen Jahreszeiten. Bei Hitze, bei Frost, bei fallenden Blättern. Große Bilder entstehen, die weit über das hinausgehen, was zu sehen ist. Plötzlich ist das Kronprinzenpalais grün vor imposantem blauem Hintergrund, das Brandenburger Tor steht vor roter Kulisse, das Neue Palais, flankiert von transparenten Statuen, ist eingebettet in einen lachsfarbenen Himmel und eine rötliche Erde. „Viktoria, die hat wie ich fast ihr ganzes Leben in Berlin gelebt“, sagt Preuss.

Perfekt gearbeitet sind die Bilder. Der Bildaufbau ist auf eine mit Minimalismus spielende Weise komponiert. Schatten sind so weit reduziert, dass sie fast an die Grenze der Zweidimensionalität reichen.

Diesen Zyklus beschreibt Preuss als Einstieg in ihr Alterswerk. Zu ihrem 85. Geburtstag hat sie den zweiten Akt hinzugefügt. Dieses Mal sind großformatige Bilder entstanden, in denen sie die Landschaft Rügens einfängt. Auf Rügen war die Künstlerin schon immer gerne. Zuletzt kam sie zurück mit ungebändigten Kompositionen. Wie der etwa: vorne die lila Fläche, die wie Flieder anmutet, dahinter das gelbe Feld, in der Ferne aber das Meer – in allertiefstem Schwarz.

„Außen wie ein glänzender Apfel, innen verfault“, sagt die Malerin über sich selbst.

Jetzt will sie einen Zyklus über ihr Berlin malen. Preuss’ Leben spielte sich im Dreieck zwischen Kurfürstendamm, Bleibtreustraße und Hardenbergstraße ab. Dort ist sie aufgewachsen, dort hat sie den Krieg erlebt und in den letzten Kriegstagen mit den eigenen Händen ihren Vater begraben, dort hat sie als eine der ersten nach dem Krieg an der halb ausgebrannten Hochschule der Künste studiert, dort hat sie die größten Niederlagen und Freuden erlebt. Bis heute wohnt sie dort. Dieser Ecke will sie ein Denkmal setzen.

„Wünschen Sie mir Kraft, dass ich es schaffe“, sagt sie. „Den letzten Akt“ nennt sie diesen Zyklus. „Finale“ sagt sie nicht.

■ Rita Preuss, Selbstporträts und Landschaften, bis 23. Dezember in der Ladengalerie Müller, Alt-Tempelhof 26. Di.–Do. 11 bis 18 Uhr