Brennende Gemeinsamkeiten
: Kommentar von Dorothea Hahn

Bei uns, so heißt es in diesen Tagen häufig in Deutschland, kann so etwas nicht passieren. Während in Frankreich die Banlieues brennen, sprechen Berliner Politiker von dem „Erfolg“ ihrer „Integrationspolitik“. Und wollen glauben machen, dass Jugendliche aus dem Einwanderermilieu sowohl ein besseres Leben führten als auch weniger gewaltbereit wären.

Tatsächlich gibt es viele Unterschiede zwischen den beiden Ländern: Frankreich hat ein Selbstverständnis als Einwandererland. Immigranten werden spätestens in der ersten im Land geborenen Generation die Rechte als „citoyens“ gegeben. Frankreich war bis in die 60er-Jahre hinein eine Kolonialmacht. Deutschland hat seine Kolonien zum Ende des Ersten Weltkriegs verloren. Frankreichs Städtebaupolitik parkt sozial schwache „citoyens“ fernab der reichen Stadtzentren in Banlieues. In Deutschland leben sozial Schwache in den – oft heruntergekommenen – Innenstadtvierteln. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Frankreich höher und hält schon länger an.

In Frankreich konnten die Immigranten schon als Staatsbürger auftreten, als die „Gastarbeiter“ in Deutschland nichts weiter als eine geduldete, aber rechtlose Bevölkerungsgruppe waren. In Frankreich haben sie nicht nur formal gleiche Rechte, sie sprechen auch die gleiche Sprache. Der zivile Ungehorsam ist Teil ihrer politischen Kultur. Seit Ende der 70er-Jahre hat es immer wieder Bürgerbewegungen aus den Banlieues heraus gegeben. In Deutschland ist das selten.

Trotz dieser Unterschiede denken jene, die sich jetzt in Deutschland in Sicherheit wiegen wollen, zu kurz. Denn es gibt eine Parallele zwischen beiden Ländern. Und die ist zentral: Hier wie dort verarmen ganze Bevölkerungsschichten. Sie sind zunehmend politisch und sozial vom wohlhabenden Rest der Bevölkerung abgekoppelt. Diese Politik der sozialen Apartheid trifft nicht nur – aber ganz besonders – die Nachfahren der Einwanderer. Und sie ist gegenwärtig das politische Dogma in sämtlichen Ländern der EU. In Frankreich sind die Ghettos zwar besonders groß und isoliert, aber ihre Bewohner umso selbstbewusster. Darin könnten ihnen andere bald folgen.