Pestizide unterm Lametta

BRÄUCHE Jedes Jahr werden in Deutschland 25 Millionen Christbäume verkauft. Ihr Anbau verursacht schwere Umweltschäden Das müsste nicht sein

Erschreckend wenig Weihnachtsbaumkäufer entscheiden sich für Ökoware

VON JOST MAURIN

Ein gutes Gefühl ist das für Gabriele Schönheit, wenn der Weihnachtsbaum geschmückt im Zimmer glänzt. Ihrer ist sogar öko. Die Lehrerin aus Hamburg kauft seit zehn Jahren Bäume, die ohne Mineraldünger und Pestizide gezogen werden. „Wir benutzen Taschentücher aus Recyclingpapier, essen möglichst wenig Fleisch“, sagt Schönheit, „da wollen wir auch zu Weihnachten etwas für die Umwelt tun.“ Ihr geht es darum, den Boden vor schädlichen Chemikalien zu schützen.

„Erschreckend wenig Weihnachtsbaumkäufer denken so“, sagt Rudolf Fenner. Auf „weit unter 1 Prozent“ schätzt der Waldexperte der Umweltschutzorganisation Robin Wood den Marktanteil von Ökobäumen. Dieses Jahr würden sogar weniger Händler Bio-Kieferngewächse anbieten als noch 2008.

Das vorweihnachtliche Tannenbaum-Massaker ist ein echtes Umweltproblem. Jahr für Jahr werden in Deutschland 25 Millionen Christbäume verkauft. Mehr als 80 Prozent davon kommen laut Fenner von Plantagen, die gedüngt und mit Pestiziden bespritzt werden. „Das ist eine enorme Belastung für Böden und Gewässer“, sagt der Robin-Wood-Fachmann. Die überflüssigen Nährstoffe versickern und gelangen zum Beispiel in Seen. Die werden dadurch für Arten unbewohnbar, die auf nährstoffarmes, sauerstoffreiches Wasser angewiesen sind. Chemische Pflanzenschutzmittel belasten das Grundwasser und schädigen Wildpflanzen sowie Insekten. Ganz abgesehen davon, dass Dünger und Pestizide auch erheblich dazu beitragen, klimaschädliche Gase zu produzieren. Umweltschützer raten deshalb: Wenn schon Weihnachtsbäume, dann aus Waldbetrieben oder Plantagen, die ökologisch zertifiziert sind. Fenner empfiehlt zum Beispiel Anbieter mit dem Biosiegel. Bei Bäumen verbietet es etwa mineralische Stickstoffdünger und chemisch-synthetische Pestizide. Diesen Mindeststandard erfüllen auch die Siegel der Bioanbauverbände Naturland, Bioland und Demeter sowie der Organisation Forest Stewardship Council. Die Anbauverbände schreiben den Betrieben darüber hinaus vor, nur noch bio und nicht mehr konventionell zu produzieren.

Gerhard Schulte-Göbel macht vor, wie eine Biobaumschule funktionieren kann: Er und seine Familie ziehen im Sauerland Weihnachtsbäume auf einer Fläche so groß wie 35 Fußballfelder. „Irgendwann ist man das Spritzen leid“, erzählt der Firmeninhaber, statt Unkrautvernichtungsmittel hat er nun vierzig Schafe der Rasse Shropshire. „Die fressen Gras und Unkraut in den Kulturen, aber knabbern nicht die Bäume an“, sagt Schulte-Göbel. Gegen das Gras, das die Schafe übrig lassen, setzt der Westfale Balkenmäher und Sense ein.

Lieber fällen als graben

Doch wer Bäume aus ökologischer Waldwirtschaft oder Bioplantagen kaufen will, muss oft weit fahren. Bundesweit stehen nur 51 Betriebe auf der Robin-Wood-Liste mit Verkaufsstellen für Ökoweihnachtsbäume. Einige größere Städte wie Hannover oder Frankfurt am Main tauchen erst gar nicht darin auf. Dabei gilt die Aufstellung als die umfassendste ihrer Art.

„Die Leute selber fragen nicht so viel nach, dass die Betriebe auf Bio umstellen würden“, vermutet Fenner. Anders als Biolebensmittel bringen Ökoweihnachtsbäume den Firmen gar nicht mehr ein. Für die beliebte Nordmanntanne müssen laut der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald in diesem Jahr 20 bis 30 Euro pro Meter hingeblättert werden. Der Preis ist gegenüber 2008 wieder einmal um 10 Prozent gestiegen – egal ob bio oder konventionell. Dabei ist der Aufwand für die Bioproduktion größer und in der jahrelangen Umstellungszeit müssen die Betriebe bio herstellen, dürfen aber noch nicht mit dem Siegel werben.

Für viele umweltbewusste Käufer bleibt also nur ein konventioneller Baum. „Den fällt man am besten selber in einem nahe gelegenen Waldbetrieb“, empfiehlt Fenner. „Denn so lässt sich vermeiden, ungewollt einen weit gereisten und damit ökologisch fragwürdigen Baum aus Dänemark, Osteuropa oder Irland nach Hause zu tragen.“ Die Adressen der Betriebe gibt es beim regionalen Forstamt.

Das mit dem Fällen ist durchaus wörtlich gemeint. Ausgraben und den Baum samt Wurzeln nach Hause tragen bringe aus Umweltsicht nichts, heißt es bei Robin Wood. Fenner sagt: „Die Bäume werden in der warmen Weihnachtsstube aus dem Winterschlaf gerissen und etliche erfrieren später draußen oder wachsen nicht mehr an.“ Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald hält auch nur zwei bis drei Tage im Hausinnern für vertretbar.

Kunststoff keine Lösung

Aber warum überhaupt für ein paar Tage Weihnachtspracht einen jahrelang gewachsenen Baum fällen? Auf der Fläche, auf der künftige Weihnachtsbäume wachsen, könnte ja jahrhundertealter Naturwald stehen, der viel mehr Treibhausgas speichert. Also besser ein Plastikbäumchen, das sich jedes Jahr wieder verwenden lässt? Auch das kommt für Umweltschützer nicht in Frage. „Irgendwann fliegt der Baum doch auf den Müll und dann gibt es bei Kunststoff ein Entsorgungsproblem“, sagt Fenner.

Am besten wäre es, ganz auf das Ritual zu verzichten. Doch drei Viertel aller Haushalte in Deutschland schwören auf den Baum im Zimmer, selbst umweltbewusste Verbraucher wie Gabriele Schönheit können sich Weihnachten ohne Nadelbaum überhaupt nicht vorstellen: „Da ist meine Grenze“, sagt die Hamburgerin. „Das ist schließlich eine Tradition über Generationen.“