: „Ein Krisenphänomen“
Utopien Mit einer Kraftquelle sozialer Bewegungen beschäftigt sich der Philosoph Neupert-Doppler
34, Philosoph, forscht an der Universität Osnabrück zu literarischen und politischen Utopien.
taz: Herr Neupert-Doppler, sind Utopien dazu da, um Missständen zu entfliehen?
Alexander Neupert-Doppler: Eine Utopie ist ein Krisenphänomen. Als erstes begegnet sie uns im Jahr 1516 im Roman „Utopia“ von Thomas Morus. Er beschreibt darin die Entstehung des Kapitalismus und die zunehmende Verarmung der bäuerlichen Bevölkerung. Dieser setzt er seine literarische Beschreibung der Insel Utopia entgegen, auf der allen alles gehört und wo für alle gesorgt ist. Auch das aktuell gesteigerte Interesse an Utopiedebatten erkläre ich mir durch die gegenwärtige Finanzkrise.
Was genau sind Utopien?
Ich beschäftige mich mit klassischen Zukunftsromanen. Im 19. Jahrhundert wurden in den USA Planungen von Mustersiedlungen als Utopie bezeichnet und im 20. Jahrhundert gab es eine philosophische Debatte über das utopische Bewusstsein. Sie wurde also eine Zukunftsvorstellung im modernen Sinn.
Wie nah kann eine Utopie an die Realität heranreichen?
Jede Utopie ist nur verständlich durch die Gesellschaft und die Zeit, in der sie entsteht. In ihr steckt in aller Regel eine Kritik an bestimmten gesellschaftlichen Missständen – und sie bietet eine Perspektive. Gleichzeitig motiviert sie Menschen, sich politisch zu engagieren.
Erlebt utopisches Denken zurzeit eine Renaissance?
Ja, das zeigt sich etwa in der politischen Theorie, wo es wieder mehr Literatur und Kongresse zum Thema gibt. Aber auch im Bereich der Kunst: Auch in der Hamburger Kunsthalle gibt es zurzeit eine Ausstellung.
Welche Funktion haben Utopien?
Sie sind Ausdruck von Kritik und Bedürfnissen, aber auch eine motivierende Kraftquelle für soziale Bewegungen.
Interview: Fabio Kalla
Lesung und Diskussion „Utopie – vom Roman zur Denkfigur“: 19 Uhr, Kollektives Zentrum, Norderstraße 65
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