: Aus der Anonymität geholt
DOKUMENTIEREN Geschichten von Roma in Berlin hat Eva-Ruth Wemme in ihrem Buch „Meine 7000 Nachbarn“ versammelt
Seit Wochen ist ein Haus in der Grunewaldstaße in Schöneberg unter medialer Beobachtung. Altmieter hatten sich über Lärm und unhygienische Zustände beklagt, die von diversen Roma Familien verursacht worden seien. Im Laufe der Berichterstattung kam der Verdacht auf, dass der Vermieter die langjährigen Mieter vertreiben wollte, indem er viel zu kleine Wohnungen an große Roma-Familien vermietete. Der Eigentümer soll von den rumänischen Wanderarbeitern zudem überhöhte Mieten verlangt haben. Seit vergangenem Herbst gab es in dem Haus mehr als 200 Polizeieinsätze.
Der Anwalt der Roma-Familien gab an, die Mieter seien massiven Drohungen durch Mitarbeiter des Eigentümers ausgesetzt gewesen. Nach illegalen Räumungen in der letzten Woche sind nun mehrere Roma-Familien mit Kleinkindern obdachlos.
Die mediale Aufmerksamkeit kam zustande, weil sich die Altmieter wehrten. Positiv daran ist, dass sich damit auch erstmals ein Zustand in den Fokus der Öffentlichkeit drängt, der sonst nicht berichtenswert ist: die Ausbeutung und der unsichere Rechtsstatus der Roma-Familien in Berlin.
Eva-Ruth Wemme kennt als Übersetzerin für die rumänische Sprache seit Jahren diese Geschichten der Roma und berichtet in ihrem Buch „Meine 7000 Nachbarn“ über den Teufelskreis aus Wohnungs- und Arbeitslosigkeit der zugewanderten Familien. Sie ist offiziell „Sprach- Und Kulturmittlerin“ und begleitet die Neuberliner zu Ämtern und Ärzten.
Was sie dort während der Wartezeiten erzählt bekommt und die Erfahrungen im Umgang mit den Roma bei den offiziellen Stellen in Berlin, zeichnet ein erschreckendes Bild über die Rechtlosigkeit der Roma.
Frauen werden wegen fehlender Krankenversicherung gebeten, sich ein anderes Krankenhaus für die kurz bevorstehende Entbindung zu suchen. Familien verschulden sich mit mehreren tausend Euro, weil ihnen von dubiosen Geschäftsleuten Wohnungen zu überhöhten Preisen vermietet werden. Banken kündigen ohne Begründung die Konten von Roma. Rumänische Wanderarbeiter erhalten keinen Lohn nach wochenlanger Arbeit auf dem Bau. In einem Krankenhaus soll einer Frau ein Myom entfernt werden.Eva-Ruth Wemme gibt den Menschen Namen und holt sie damit aus der Unsichtbarkeit und Anonymität. Sie kommt ihren Klienten dabei schmerzhaft nahe und schildert die Erlebnisse mit ihren Klienten so plastisch, dass man auch ihre eigene Verzweiflung merkt. Bis an ihre eigene Grenze lässt sie sich auf die Familien ein, stellt sich frühmorgens bei Ämtern an und lässt sich Dutzende Male anrufen, um bei einer Geburt im Krankenhaus telefonisch zu übersetzen.
Gleichzeitig ist die Personalisierung ein Manko ihres Buchs. Die Vielzahl der Geschichten und ihre lose Aneinanderreihung lassen den Eindruck entstehen, dass sie sich alles „von der Seele“ geschrieben hat.
Ein wenig fehlt die Einordnung in einen offiziellen Rahmen wie den Roma-Statusbericht Neukölln (der Bezirk, in dem Wemme auch arbeitet), der jährlich neu aufgelegt wird und der ganz explizit auch auf die Ausbeutung durch Arbeitgeber und die dubiosen Geschäfte der Vermittler, Hausverwalter und Pensionsbetreiber eingeht.
Elke Eckert
„Meine 7000 Nachbarn“, Verbrecher Verlag, 240 Seiten, 14 Euro
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