Am Start nach Nirgendwo

„The freak from England“ ist Alexander Holmes alias Vanishing Breed oft genannt worden, seit er aus London hierher zog. Jetzt hat der Wahlberliner eine Elektronik-Folk-Platte gemacht, die nicht mit Zutaten westafrikanischer Herkunft geizt. Ein Porträt

In Prenzlauer Berg ist es ihm zu monokulturell und auch zu weiß

VON RENÉ HAMANN

Er steht ihm. Er passt zu ihm. Der schmale Oberlippenbart, den man auf keinen Fall einen Schnäuzer nennen möchte. Das einzige richtige Wort dafür kann nur Moustache sein, denn dieser kleine Haarstrich verleiht ihm die notwendige sonnige Ausstrahlung, betont seinen leicht gebräunten Teint, unterstützt das angenehm Mondäne, das ihn umgibt. Wie es sich für einen Reisenden, einen Weltbürger wie ihn gehört.

Aufgewachsen ist Alexander Holmes in London, wo er lange ohne eigene Wohnung gelebt hat, manchmal untergebracht bei Freunden und Bekannten. Er machte Musik, streifte mittellos durch die Stadt, bis er sich abends mit den aussortierten Resten aus Supermärkten versorgte. Ein Leben auf niedrigem Niveau, wie es in London tatsächlich hart ist, während man in Berlin mit ähnlich beschränkten Mitteln noch gut über die Runden kommt. Mittlerweile wohnt Holmes in einem Appartement in Prenzlauer Berg. Und führt jetzt, wie er sagt, ein vergleichsweise luxuriöses Leben.

Es hat einige Zeit gedauert, bis er endgültig nach Berlin zog. Das erste Mal war er bereits 1990 hier, erlebte einen Kulturschock, gebannt von der herrschenden Euphorie in der frisch wiedervereinten Stadt. Hergekommen ist er seitdem immer wieder, hat sogar lange Jahre eine Long-Distance-Beziehung mit einer Berlinerin geführt, bis er 2002 hergezogen ist. Vielleicht für immer.

Von irgendwo wegfahren, irgendwohin, ohne wirklich anzukommen, davon handelt seine Platte: vom Reisen, vom Unterschied zwischen Heimat und Fremde, von der Vermischung der Orte, den Momenten des Dazwischenseins. Die Mittel, die Holmes alias Vanishing Breed dazu braucht, sind gut gewählt. „Between Arrival And Departure“ ist eine moderne Platte mit traditioneller englischer Folkmusik, Indiepop, Bedroom Elektronica und Westafrican Folk geworden. Alles in einem. Holmes selbst nennt diese neuartige, selten so gehörte Mixtur The New Electric Hi-Life.

Die Platte hat indessen keine ganz so glückliche Geschichte hinter sich. Das ursprüngliche Label, Klingklang aus Berlin, musste wegen Geldmangel absagen, die Platte lag lange auf Eis. Die Wartezeit, der Rückschlag, das waren noch einmal frustrierende, die eigene Kreativität in Frage stellende Erlebnisse, wie Holmes erzählt. Nun ist er sichtbar gelöst durch den Deal mit Pingipung, dem kleinen, ambitionierten Label aus Lüneburg. Trotzdem war es ein langer Irrweg, der einst auf einer Insel namens East End London in unmittelbarer Nachbarschaft zur großen westafrikanischen Immigrantengemeinde begonnen und nach vielem Hin und Her in Berlin sein Ende gefunden hat.

„Berlin ist eine ruhige Stadt. Angekommen bin ich aber noch nicht ganz“, meint er. Engländer scheinen sich anscheinend nur schwer zu integrieren; da alle anderen auch englisch sprechen könnten, würden sie bald faul. Zudem stünde man schnell in der Exotenecke: „Ah, the freak from England.“ Und untereinander könnten Engländer schon mal gar nicht – weder in der Fremde noch im eigenen Land. Holmes beste Freunde waren plötzlich Amerikaner. Wie er feststellen musste, gab es mehr Gemeinsamkeiten, als er je gedacht hatte. Reger Austausch. Gemeinsame kulturelle Geschichte. Popkultur.

Seine Band „They Came From the Stars …“ führte er ärmelkanalübergreifend weiter; nebenher probierte er das Nachtleben der neuen Stadt aus. Irritationen gab es immer wieder: In London muss wegen der Sperrstunden (der „Drinking Law“, wie Holmes es nennt) alles sehr schnell gehen. Also wird schnell getrunken und schnell getanzt, und nicht ewig herumgequatscht, bis mal etwas passiert, wie hierzulande.

Im Vergleich zu seiner Londoner Zeit führt Holmes heute fast ein luxuriöses Leben

Auch mit der deutschen Sprache hapert es noch. Zwar belegt Holmes Deutschkurse in der Volkshochschule, doch wegen der vielen Herumreiserei muss er immer wieder Stunden ausfallen lassen. Insofern war die Idee, mit „Ich habe keine Angst“ einen deutschsprachigen Titel aufzunehmen, vielleicht etwas voreilig. Die Wörter klingen noch wie Fremdkörper. Andererseits eben auch charmant und zur Grundidee passend. Wie die gesamte Platte durch Charme, durch diesen Flausch auf der Seele der Musik gewinnt. Durch Holmes’ sanfte Stimme und dem (übrigens wissenschaftlich belegten) Effekt dieser Hi-Life-Gitarrengirlanden: eine Musik, die nachdringlich euphorisiert.

Gelernt hat er diesen Sound in der heimatlichen East End Community – denn in Westafrika war er noch nie. Die afrikanische Kultur ist natürlich etwas, was er besonders in Prenzlauer Berg sehr vermisst. Da ist es ihm zu monokulturell, zu mitteleuropäisch weiß. Immerhin hat er inzwischen eine türkische Freundin. Aber es sei ein großer Unterschied, ob man sich mutwillig in eine vermeintlich fremde Kultur hineinbegibt oder natürlich in einer aufwächst.

Angst vor Einflüssen hat der weiße Mann mit dem Moustache jedenfalls nicht. Ein bisschen Psychedelik hilft immer, ansonsten geht es in Band wie Soloprojekt darum, zeitgemäße Musik zu modernen Themen zu machen. Der Weg als Ziel. Flugzeuge statt Schiffe. Der beste Moment beim Reisen im Flugzeug, sagt Weltbürger Holmes, sei der des Abhebens. Wenn die Passagiere in eine neue Sphäre treten. Irgendwo zwischen Abflug und Ankunft.

Vanishing Breeds „Between Arrival And Departure“ ist bei Pingipung/Kompakt erschienen. Record-Release-Party am 17. 11. im Schokoladen, Ackerstraße 169