ausgehen und rumstehen
: Brettharte Damentollen beim Be Bop Battlin Ball

Hey hey, my my. Kann ja sein, dass Rock’n’Roll niemals sterben wird. Aber verdammt alt ist er irgendwie trotzdem geworden. Chuck Berry zum Beispiel ist jetzt 74 und kann froh sein, dass er der Welt einige der wichtigsten Songs aller Zeiten vermachen wird, so dass man sich nicht nur daran erinnern muss, wie er in seinem eigenen Amüsierpark (das allein ist ja schon eine durchgeknallte Idee im Elvis-Michael Jackson-Format, so ein „eigener Amüsierpark“ – was soll das?) eine Videokamera im Damenklo installieren ließ und die Pipibänder auch noch verkaufte. Oder wie 1989 bei einer Razzia in seinen Gemächern Super-8-Pornos gefunden wurden.

Super 8? Hey, 1989 hatte die Videogeneration aber schon einige Steine in den Brettern der Konsumenten, wer schaut da denn noch stumme 3-Minuten-Bumsfilme, wenn man auch the full monty in Bild und Ton und mit anderthalb Stunden Action haben konnte? Nur der alte Chuck. Lustig. Samstag hat er im Tempodrom gespielt, und ich fand’s immerhin besser als das letzte Mal. Vor ungefähr 15 Jahren war das, aber in der Zwischenzeit hat er sich eigentlich kaum verändert, nur begleitet wurde er diesmal nicht von einer seiner bekloppten Ehefrauen, sondern von der reizenden Tochter Ingrid (INGRID!) Berry und seinem Sohn Charles, Jr., am Bass.

Ingrid spielte wunderbar Mundharmonika, Charles, ein uralter Gitarrist, und zwei junge Whiteys an Schlagzeug und Klavier klimperten freundlich die ältesten Rock’n’Roll-Hüte der Welt, und Chuck selber trug ein rotes Glitzerhemd, ging ein wenig gebeugt und patschte mit seinen gichtigen Fingern so oft neben die Saiten, die er zupfen wollte, dass mir richtig das Herz aufging. Nett und familiär war es, kein Wort von Pipivideos und she-wants-to-play-with-my-ding-a-ling, obwohl er das natürlich auch spielte, aber eben mit einer sympathisch-geriatrischen Harmlosigkeit.

Beim letzten Stück kamen dann ganz viele „Ladys“ zum kollektiven Bootyshaken auf die Bühne, unten im Saal drehten ein paar steife Jiver ihre genau festgelegten Schrittrunden, und meine Freundin und ich schnorrten eine Zigarette von einer einsam mitwippenden Mittfünfzigerin, die sich rührend aufgehübscht hatte und uns die Zichte gab, obwohl das Rauchen im Saal verboten war, vielleicht wegen der vielen schwachen Herzen.

Eingegroovt für Chuck Berry hatte ich mich tags zuvor beim Be Bop Battlin Ball in der Kulturbrauerei. So etwas lohnt sich allein schon wegen der phänomenalen Schminktipps, die man von diesen oft großen, eindrucksvoll zutätowierten Rockabellas auf der Toilette abgucken kann: Dieses Schneewittchen-Make-up! Diese brettharten Damentollen! Diese Manier, sich Deo (ein Drogerie-No-Name-Produkt, das zur freien Verfügung auf den Waschbecken stand) direkt auf die schweißigen Achselhöhlen zu sprühen – pikant!

Man muss nur die Note mögen. Ich mag Noten, ich mochte auch alle Bands, die ich Freitag und Samstag dort gesehen habe, die niedlichen Kroaten, die Cowboy-Amis, die dicklichen Deutschen – alle genau das Gegenteil von Chuck Berry, alle so original 50s, wie Chuck schon seit 1959 nicht mehr ist. Aber die einen wären ohne den anderen nicht möglich, klar.

Schnell noch einen Tag zurück (und mehrere Musikrichtungen vorwärts): Donnerstag hatten Pitchtuner im Rahmen des Interfilm-Festivals im Roten Salon gespielt. Und obwohl ich sonst nicht so die typische Raverin bin (allerdings hab ich gestern eine überaus interessante Doku über die positiven Effekte vom Ecstasy-Wirkstoff MDMA gesehen und überlege, doch noch eine zu werden, auf meine alten Tage), finde ich Pitchtuner prima. Eine Japanerin mit echten Locken (sehr selten!) am Bass, ein Süddeutscher an der Gitarre, ein bubihaft aussehender und wie ein uralter Hase trommelnder Typ am Schlagzeug, Elektro-Sounds vom Band, und das geht hervorragend, was die da machen. Japanisch-Englisch mit unglaublich viel Groove – wer nicht mitwippt, muss ohnmächtig sein.

JENNI ZYLKA