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Auch beim Fest am längsten Tag des Jahres reckt die industrielle Landwirtschaft ihr widerliches HauptDie Saubohnen stehen stramm

Foto: Privat

VOGELFLUGLINIEvonRebecca claresanger

Heute ist Sankt Hans. Wir machen Feuer, singen Lieder und trinken Bier. Mein Mann sagt, es sei der längste Abend des Jahres und er muss heute Abend eine Extratour auf der Fähre fahren, mit Sankt-Hans-Gästen. Sie werden die Feuer an der Küste sehen, Bier trinken und ihm einen Kaffee ins Steuerhaus bringen. Ich bin bei unserer Nachbarin eingeladen, die nun „fast“ endlich ihren Hof verkauft hat.

Meine Kinder essen Würste, die lokal produziert wurden, und Koteletts, die es nicht sind. Ihren Kartoffelspargelmöhrenbrei lassen sie links liegen, fassen ins Zaziki und wir räumen die Aschenbecher aus ihrer Reichweite.

Ein wenig nervös werde ich, als ich entdecke, dass einer der Gäste eine Hebamme ist. Wir sitzen draußen, die Füße meiner Kinder sind nackt, ihre Backen mit Erdbeeren und Zaziki verschmiert, die Farben in denen sie gekleidet sind beißen sich und es ist halb zehn und sie sind noch wach.

Der Freund der Hebamme kommt von Bornholm. Dort sei künftig noch viel mehr Schweineintensivzucht geplant – wie überhaupt überall im „Udkantsdanmark“. Er findet, Menschen sollten dazu ermuntert werden, sich NICHT mehr fortzupflanzen. Er kennt da die Zahlen. Vielleicht ist es wegen ihm, dass sie keine Kinder hat, wie sie mir in der Küche sagte.

Ich versuche mich im Gespräch mit dem Freund der Hebamme, der gegen das Kinderkriegen ist, zu einigen, das die Schweineintensivhaltung ebenfalls sehr doof ist und dass es nicht die Kinder, die das Schweinefleisch essen sind, die verboten werden sollten, sondern die Intensivschweinehaltung selbst. Und wenn die Marktwirtschaft die Intensivschweinehaltung nötig mache, na dann muss die eben auch verboten werden. Oder so.

Ich weiß das nicht so genau, der Freund der Hebamme hat wenigstens Zahlen, die habe ich nicht, ich habe nur Empfindungen, eine Nase und ein ungutes Gefühl. Man sieht und hört die Hunderttausende von Schweinen, die hier leben, nur selten. Verwechselt ihr Kreischen gern mal mit dem Quietschen einer Maschine und riecht die Scheiße, die aus fensterlosen Hallen dringt.

Nach zehn Minuten haben wir unsere Steckenpferde in die Nacht geritten, es müssten mehr Fakten her, um sie weiter anzuspornen, der Freund der Hebamme gibt mir meinen Sohn zurück, um den er sich liebevoll gekümmert hat und hilft den anderen, das Sankt Hans-Feuer anzuzünden. Die Katze fängt eine Motte, die Fledermäuse fliegen tief.

„Ist Helle hier irgendwo?“ Ich kenne den Mann nicht, der sein Gesicht zur Hecke hineinsteckt. Vielleicht ist es der Ex-Mann meiner Gastgeberin. Alle Däninnen haben Ex-Männer. Oder die Ex-Männer der anderen Däninnen.

Als ich zu den anderen dazustoße, höre ich, dass dem fremden Mann das Feld gehört, an dessen Rand die Reste des Feuers glühen. Ja, das seien Saubohnen, dieses Jahr, die Bitterstoffe seien herausgezüchtet, der Proteininhalt vervierfacht, sie seien resistent gegen Läuse und als Tierfutter hervorragend geeignet.

Genmanipulation sei nichts als die Beschleunigung herkömmlicher Zuchtmethoden sagt der Besitzer des Feldes im folgenden Gespräch, und konventionelle Landwirtschaft in Dänemark sei durchaus sicher, selbst in Deutschland spritzten sie achtmal so viel wie hier.

Der Mann hat die Fakten, die mir fehlen, die Menschen stehen in einer Runde und hören ihm zu. Die Hebamme flüstert mir die Vorzüge von Biogemüse in mein linkes Ohr, vor uns stehen kerzengerade und ohne jegliche Fremdpflanze die Saubohnen stramm zum Nutztierverzehr.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle. Einen Band mit ihren „Hamburger Szenen“ aus der taz.hamburg hat der Verlag Michason & May unter dem Titel „Hamburg Walking“ veröffentlicht.

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