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Kinder wissen, wo' s langgeht

Dokumentartheater Lola Arias lässt in ihrem Stück „The Art of Arriving“ am Theater Bremen bulgarischstämmige junge Leute von ihrem Alltag und der Geschichte ihrer Familien erzählen

Ein szenisches Tutorial sei „The Art of Arriving“ von Lola Arias, steht auf dem Programmzettel, was also eine szenische Gebrauchsanweisung wäre. Und so gesehen eigentlich die zweite nach ihrem Stück „The Art of Making Money“, mit dem das Theater Bremen im September 2013 seine Spielzeit eröffnete. Nur dass es damals nicht szenisches Tutorial hieß, sondern „Straßenoper“. Was wiederum genau so nah dran wie weit weg war von dem, was da zu sehen war, nämlich ein grob gesagt dokumentarisches Theater, wie es offenbar immer noch nicht aus der Mode gekommen ist.

Nachdem wir in vergangenen Jahren schon Prostituierte, Arbeitslose, Müllsammler, Seemänner und was nicht noch alles auf der Bühne sehen konnten, sind es bei Lola Arias nun Kinder. Bulgarische Kinder. Genauer: Kinder, deren Eltern aus Bulgarien nach Deutschland gekommen sind. Türkischstämmige Eltern, die dort im Zuge der Assimilationspolitik der Achtzigerjahre von der bulgarischen Regierung drangsaliert wurden. Kurz gesagt: Menschen, die im hiesigen Diskurs vor allem als Zahlen vorkommen. Über deren Leben außer dem gelegentlichen Skandalösen wenig ins Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft dringt, die oft außer Ressentiments wenig für diese Menschen übrig hat.

Weshalb Gebrauchsanweisung eigentlich auch nicht stimmt: Indem Lola Arias diese Kinder uns erzählen lässt, wie sie hierher kamen, wie sie sich hier zurechtzufinden hatten, wie sie – nicht zuletzt – ihren Eltern dabei helfen mussten, sich einzufinden, anzukommen, öffnen sie und ihr Ensemble uns ein Fenster, eine Tür. Eine Tür, die, so viel Gefühl darf hier sein, auch eine zu den Herzen ist. So charmant, so quietschlebendig, aber auch klug sind diese Kinder, dass man beinahe vergessen könnte, dass das Ankommen für sie dann eben doch so etwas wie eine Kunst ist. Eine, die sie, so weit es ihre Mittel zulassen, allerdings nicht ohne Virtuosität bewältigen.

Um zu zeigen, wie das geht, hat Dominic Huber eine clevere Bühnensituation erschaffen: Auf einen überdimensionierten Ringblock werden Zwischentitel und Szenen projiziert, die live auf der Bühne entstehen, zum einen an einem kleinen Tisch zur Linken, zum anderen hinter dem Projektionsblock, per Bluebox. Dort spielt das junge Ensemble, das um einige deutsche Kinder erweitert ist – „für die Nebenrollen“, wie einer der bulgarischen Jungen augenzwinkernd sagt – Szenen, in denen wir tief in das Leben dieser jungen Menschen eintauchen.

Das ist natürlich untrennbar mit dem ihrer Eltern und Großeltern verbunden, über die sie sich an diesem Abend auch ein bisschen amüsieren dürfen (und wir mit ihnen); denen sie bei Behördengängen, beim Einkauf, beim Arzt helfen müssen. Und die schwere deutsche Sprache geht ihnen scheinbar leicht über die Lippen. Wenn nicht, wenn sie beispielsweise einen Hänger haben, dann fragen sie einfach nach und machen weiter. Hilft ja nichts. Ebenso wenig wie das Jammern darüber, dass man zu siebt in einem Zimmer lebt, die Miete pro Erwachsenem 120 Euro und der Lohn aus der „Schweinefabrik“ gerade mal 1000 Euro beträgt.

Und der Bürokratensprech? Wird flugs in einen Rap verwandelt. Als wäre es geradezu selbstverständlich, verschränkt Arias darein auch noch das Große, die Geschichte, die Politik: Das Leben im Kommunismus (oder was man eben damals so nannte), wo jeder gleich viel hatte und eine Arbeit, dann die Wende, einschließlich der legendären Pressekonferenz, auf der Günter Schabowski die Öffnung der DDR-Grenzübergänge verkündet – auch das erzählt uns dieses Ensemble mit Originalbildern und lippensynchron, virtuos, leichtfüßig, hinreißend.

Mit der gleichen Selbstverständlichkeit kommen die Zukunftspläne daher, die die Protagonisten am Ende verraten. Einer will bei Mercedes am Band arbeiten, da verdiene man gutes Geld. Ein anderer will lieber der Chef in einer großen Firma werden. Eine Ahnung davon, dass die Kunst des Ankommens leider noch lange keine des Erfolgs sein muss? Oder doch vielmehr ein verzeihlicher Traum, in einer Gesellschaft wie dieser.   Andreas Schnell

nächste Vorstellungen: Mittwoch, 1. Juli 2015, 19 Uhr sowie Samstag, 11. Juli 2015, 19 Uhr, Kleines Haus, Theater Bremen

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