JAMMERN ÜBER PARIS UND ANDERES
: Wo queere Terroristen überhöhte Preise zahlen

VON ENRICO IPPOLITO

Der Bart ist ab, und schuld daran ist Paris. Die Stadt ist die absolute Pest. Wirklich. Ekelhaft. Den Parisern will man die ganze Zeit nur Böses antun. Sie richtig quälen. Das haben sie auch verdient. Weil sie überheblich sind und prätentiös. Weil sie einfach nerven. Okay, das alles habe ich auch schon über Berlin gesagt. Egal.

Zurück zur Geschichte: Zum wiederholten Mal fahren L. und ich nach Paris – warum genau, weiß keiner mehr von uns. Muss aber wichtig gewesen sein. Unsere Ankunft beginnt, wie sie beginnen muss: Abendessen mit Freunden. Die Themen sind immer die gleichen: Wohnungssuche, irgendwelcher kultureller Schnickschnack, die überteuerten Preise. Überhaupt wird gerne über Geld gesprochen.

Doch dann passiert etwas Unglaubliches. Plötzlich geht es um Bärte. Ein Freund von L. musste sich seinen Vollbart abrasieren, sein Chef bat ihn vor einem wichtigen Treffen darum. Jetzt ist dieser Freund aber kein Soap-Darsteller oder dergleichen. Nein, der Freund ist Architekt. Ich rege mich sofort darüber auf. Aber eine Freundin von einer Freundin von einer Freundin antwortet: „Ist doch klar. Ein Vollbart wirkt gleich wie islamistischer Terrorismus.“ Und ab diesem Punkt möchte ich dieser hochnäsigen Pariserin, die jeden Satz mit „enfin“ beginnt, ins Gesicht hauen.

Ja, ein Vollbart birgt diverse Konnotationen. L. wurde schon oft „Jesus“ hinterhergeschrien, und mich haben debile Idioten als „Terrorist“ beschimpft. Um es vorwegzunehmen: Nein, deswegen habe ich mir nicht den Bart abrasiert.

In der queeren Gemeinde hingegen geht ohne Vollbart gar nichts mehr. Er ist Sinnbild für Sex, Virilität und Männlichkeit – das ist so absurd wie wahr. Aber zurück zur eigentlichen Frage: Was ist denn nun mit dem Bart? Und was hat Paris damit zu tun?

Wir wechseln die Szene: Vom Restaurant geht es in eine Bar im XI. Arrondissement. „Udo“ heißt die. Klein, nett und, wie alle Gäste sagen, „sehr berlinerisch“. Wieso, weiß ich nicht genau. Vielleicht weil auch hier alle Männer ausnahmslos Bart tragen? Ach ja, ich hatte es fast schon vergessen: Der Bart ist die queere Uniform – egal ob Paris oder Berlin. Diese Menschen tragen ihn, weil sie sich eigentlich abheben möchten. Sie wären gerne anders. Radikal anders. Und wie es sich für Menschen in Paris gehört, verstehen sie leider nicht, dass es dabei auch um Inhalte geht, nicht nur um Äußerliches. Für Pariser, glaube ich, ist das noch schwerer zu verstehen als für Berliner.

Aber auch deswegen ist der Bart nicht ab. Ich rasierte ihn, weil der scheiß Sicherheitstyp am Charles-de-Gaulle-Flughafen mich und L. fragte, ob wir Brüder seien. Geht’s noch?

Als wir nach acht Tagen endlich wieder in Berlin ankommen, gehen wir sofort mit B. und F. Pizza essen. Ich jammere über Paris, die Menschen und die Preise. F. sagt nur: „Kein Mensch braucht Paris.“ B. schließt sich an – ich glaube, aus Faulheit. Meine Gesichtsbehaarung – nun ein Schnauzer – bleibt auch hier Thema: Für L. sehe ich aus wie ein Cop aus den 70ern. Für andere wie ein Killer oder Fischer – so eindeutig war das nicht zu verstehen. Oder wie Freddie Mercury. Und für andere einfach nur kacke. Ist auch egal.