Athen liegt nicht an der Spree

GRIECHISCHE NEUBERLINER

Sehr viel Wut und wilde Entschlossenheit fliegen plötzlich durch den Raum

„Unsere Mittel sind erschöpft“, sagt irgendwann Nikos Athanasiadis vom Bundesverband der Griechischen Gemeinden in Deutschland. Das Thema der Gesprächsrunde im August-Bebel-Institut, in der er sitzt: Im Jahr 2011 hat sich mit 1.504 Personen die Zahl der Neuberliner aus Griechenland im Vorjahresvergleich fast verdoppelt, und für 2012 schätzt man, dass noch mehr gekommen sind. Doch anders als in den Sechzigern, als griechische Gastarbeiter auf Einladung deutscher Unternehmen kamen, reisen Griechen heute oft völlig verzweifelt ein, überstürzt, unvorbereitet und ohne Rücklagen. Nikos Athanasiadis berichtet von Familien in Gartenlauben, von jungen Leuten, die in griechischen Restaurants unterkommen, von Essensresten leben und nach drei Monaten vor die Tür gesetzt werden. Einmal gabelte die Brandenburger Polizei im Winter ein Paar auf. Es konnte weder Deutsch noch Englisch, hatte keinen Cent und trug Sommerkleidung.

Doch nicht nur die Kälte und der Verlust der Heimat, auch die Deutschen machen den griechischen Neuberlinern schwer zu schaffen. Oft werden sie im ach so mondänen Berlin auf der Straße angepöbelt. Vermieter verweigern Verträge mit der Begründung, man wolle keine griechischen Mieter. Und die Anwältin Anatoli Ortulidu berichtet auf dem Podium, dass sie seit einer Geschäftsanweisung der Regierung an die Arbeitsagentur vom März mehr Mandanten hat, die Hartz IV einklagen müssen – das ihnen laut Europäischem Fürsorgeabkommen zusteht.

Doch weit gefehlt, würde man in diesen Neuberlinern aus Griechenland nur schutzbedürftige Opfer sehen. Es kommt richtig Leben in den übervollen Tagungsraum des Bebel-Instituts, als schließlich ein paar von ihnen das Podium betreten und selbst berichten. Sehr viel Wut und wilde Entschlossenheit spürt man plötzlich in dem Raum. Eine Journalistin, die vor wenigen Monaten kam, poltert laut. Sie musste ihr Land verlassen, sagt sie – sie wäre sonst zur Revolutionärin mutiert. Wehe dem, der sich nun noch einmal mit ihr anlege. Der ehemalige Fernsehredakteur Lefteris Fylaktos, der seit zwei Jahren hier ist, ballt die Faust. Er sagt, er mag Berlin, denn hier sei „die Illusion der Freiheit“ ein wenig „süßer“ als anderswo in Deutschland. Zwar gebe es hier weniger Arbeit, aber das sei ihm egal. Dann holt er Luft, denn der deutsche Satz, den er jetzt sagen wird, ist lang: „Je länger ich hier bin, desto mehr will ich hier bleiben.“

SUSANNE MESSMER