LeserInnenbriefe
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Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor .Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Keine Analyse, keine kritische Distanz

betr.: „Eine Reise zum Mittelpunkt der Krise“, taz vom 27. 6. 15

Ich bin sehr enttäuscht von der taz, dass mir Robert Misiks Schwärmerei als großes Porträt verkauft wird! Kaum Information, keine Analyse, keine kritische Distanz. Ein Mitglied des Zentralkomitees hilft eigenhändig afrikanischen Flüchtlingen, sicher sehr lobenswert. Aber was tut die Regierung, dass die GriechInnen selbst wieder auf die Beine kommen? Bangen und Abwarten, was die EU Verhandlungen bringen? Welche konkreten Schritte werden unternommen, um die Reichen zu besteuern? Den Militärhaushalt zu kürzen? Wieso dauert das so lange? Misik war fast zwei Wochen in Griechenland. Entweder er hat schlecht recherchiert, oder es passiert wirklich so wenig. Dann hilft wohl nur noch blinde Liebe, um nicht zu verzweifeln. FLORIAN PFAHLER, Kleinmachnow

Es gibt Alternativen

betr.: „Eine Reise zum Mittelpunkt der Krise“, taz vom 27. 6. 15

Wenn man die Eigenschaft entwickelt hat, einen Schritt zurückzutreten und sich quasi die Welt „von außen“ anzusehen, kann man nicht umhin, sich die Frage zu stellen: „Was, wenn in Wirklichkeit wir verrückt geworden sind? Wir, als die, die schon froh sind, das Schlimmste zu verhindern? Wir, die wir Panik vor jeder noch so kleinen Veränderung haben, ja vor der kleinsten verwegenen Idee?“ So betrachtet haben Sie, Robert Misik, eine Reise zum Mittelpunkt der Erde unternommen!

Neoliberalismus, besser: Neokonservativismus ist eben nicht alternativlos. Was machen Merkel und Schäuble mit ihrer sogenannten Europapolitik ohne Visionen alles kaputt? Und Gabriel läuft mit. Ganze Jugendgenerationen ohne Ausbildung, Menschen aus der Mittelschicht rutschen in die Armut.

NORBERT VOSS , Berlin

Ohnmacht

betr.: „Griechenland und die Eurokrise“, taz vom 3. 7. 15

Danke, Griechenland!

Dir verdanken wir viel: Die Philosophie, die Mathematik und die Demokratie wurden maßgeblich von Dir und Deinen Denkern hervorgebracht. Und nun zeigst Du uns unter Aufopferung Deines eignen Wohlstandes, dass der Kapitalismus nicht funktioniert.

Wir, die wir nicht so schlau sind, dass wir den Zusammenbruch von Lehmann Brothers et. al., der Weltwirtschaftskrise und dem Hunger in der so genannten Dritten Welt mit den Flüchtlingsströmen in irgendeinen ursächlichen Zusammenhang mit der Wachstumsideologie bringen könnten.

Erst Deine Demonstration unserer aller Ohnmacht hilft uns, simple Mathematik endlich zu begreifen: Dieses System kann nicht funktionieren, zumindest nicht auf Dauer und nicht für jeden.

ROLAND LAUDIN, Göttingen

Zurück zur Normalität

betr.: „Griechenland und die Eurokrise“, taz vom 29. 6. 15

Wieder eine Schlacht gewonnen und den Griechen gezeigt, wo‘s lang geht. Und weitaus eleganter, ohne Massaker, sieht man von den sozialen Folgen ab, die gelegentlich auch das Sterben beschleunigen. Diesmal haben wir ganz Europa hinter uns und alle Medien und die Vernunft. Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Griechen endlich sich ordentlich benehmen, ohne beleidigende Verbalattacken von Ökonomieprofessoren, die alles besser wissen wollen. Am besten mit einer neuen Regierung, die wieder Krawatte trägt. Am Sonntag haben sie die Chance, sich für Europa, den Euro und die Rückkehr zur Vernunft zu entscheiden. Am besten die griechische Regierung tritt zurück, dann finden wir zur Normalität zurück, zum Beispiel Rüstungsaufträge auf Kredit. B. BRAUNBEHRENS, Ebertsheim

Showdown in Griechenland

Widerstand Die EU und vor allem die deutsche Regierung will Konformität erzwingen. Die griechische Regierung widersetzt sich. Gut oder schlecht?

Oxi – Nein zu einem Europa der Verelendung, sagen viele Griechen   Foto: dpa

Klarstellungen

betr.: „Da stimmt vieles ganz und gar nicht“, taz vom 1. 7. 15

Bitte, taz, fahrt fort mit Klarstellungen und beantwortet Fragen, die zur Aufhellung beitragen. Wie kamen die heutigen Schulden Griechenlands zeitlich und dem Volumen nach zustande? Wer waren die ersten Gläubiger und wer sind sie heute? Durch Schulden wurden die Staaten von den Gläubigern abhängig (gemacht). Die Souveränität ging dabei von den Wahlbürgern auf die Gläubiger über. Die Regierenden werden zwar noch von den Bürgern bevollmächtigt (gewählt), sie sind aber, um den Staat solvent zu halten, an die Auflagen, das Wohlwollen der Kreditgeber gebunden. Um diese Abhängigkeit geht es heute. Dazu hat Franziskus am 15. Juni 2015 Stellung genommen. Enzyklika „Laudato si“, Absatz 189: „Die Politik darf sich nicht der Wirtschaft unterwerfen.“ Was geschieht wohl bei der nächsten Papstaudienz von Frau Merkel mit Herrn Seehofer? Vielleicht fährt Herr Gabriel ja mit?

KLAUS WARZECHA , Wiesbaden

Eine Lüge

betr.: „Nicht Griechenland ist das Problem“, taz vom 30. 6. 15

Frau Merkel als Pro-Europäerin zu bezeichnen, wäre eine Lüge. Ihre Politik begünstigt deutsche Interessen und damit gewinnt sie Wahlen: Arbeitsplätze hier gegen Arbeitsplätze in Südeuropa (griechischer Schafskäse kommt aus Deutschland). Im Zweifel setzt sich die stärkere Wirtschaftskraft durch und die „Hausaufgaben“ der anderen bestehen in der Akzeptanz dieses Zustands. Frühere griechische Regierungen ließen sich darauf ein. In dem Moment, wo Syriza sich die Rückendeckung der eigenen Bevölkerung für eine neue Politik einholen will, fällt die Klappe.

Nein, welche Organisation – notfalls außerhalb der Parlamente – kann es leisten, das solidarische Europa (und die Ukraine gehört dazu) auf die Tagesordnung zu setzen? Möglichst länderübergreifend, sonst kommen Griechen und noch mehr Spanier zu uns (was ich nicht ablehne, aber aus Not sollte es nicht sein). DIETMAR RAUTER, Kronshagen

Aufschrei

betr.: „Da stimmt vieles ganz und gar nicht“, taz vom 1. 7. 15

Mit wie viel Unwahrheiten die Politik „arbeitet“, um ihre Interessen durchzusetzen, und wie stark die Bundesregierung immer wieder daran beteiligt ist, zeigt nicht nur dieser Artikel hinsichtlich der Durchsetzung von kapitalistischen Interessen in Bezug auf Griechenland. Und für diese Europapolitik ist gerade die Bundesregierung maßgeblich mit verantwortlich. Schon die Behauptung, es gehe um die finanzielle Absicherung der griechischen Wirtschaft, ist eine infame Lüge; es geht darum a) wieder Banken zu sichern und b) eine Regierung zu stürzen, die mehr soziale Politik in Europa einfordert.

Dass Wahlversprechen regelmäßig gebrochen werden beziehungsweise nur scheinbar oder rudimentär umgesetzt werden, ist mittlerweile vom Wähler hingenommene Praxis. Wenn ich alles zusammenrechne, wird die Demokratiefeindlichkeit und Kapitalhörigkeit dieser „aufrechten“ Politiker immer erkennbarer. Aber auch die Medien spielen dieses Spiel mit, wenn man sich die Berichte und Kommentare zu Gemüte führt, die gerade zu Griechenland verbreitet und kolportiert werden.

Wann kommt endlich der große Aufschrei der Bevölkerung in Europa, die diese Demokratiefeindlichkeit nicht mehr hinnimmt?

ALBERT WAGNER , Bochum

Diktatorisch

betr.: „Tsipras setzt alles auf eine Karte“, taz vom 29. 6. 15

Die Haltung des griechischen Regierungschefs Tsipras kann ich nur gutheißen. Wenn er jetzt zu einem Referendum über die Sparvorschläge der nicht demokratisch gewählten EU-Gremien (EU-Kommission, EZB) und des IWF aufruft, so zeigt er der ganzen Welt, dass sich hier ein kaputtgespartes und in einer sozialen Katastrophe befindliches Land gegen eine diktatorische und neoliberale Wirtschaftspolitik der EU auflehnt. Gerade der IWF, der Griechenland bereits in den letzten fünf Jahren eine zunehmende Arbeitslosigkeit von 27 Prozent und eine schrumpfende Wirtschaft von 28 Prozent beschert hat, sollte zukünftig aus den Verhandlungen ausgeschlossen werden. Doch das wird gerade Frau Merkel nicht zulassen, weil sie den IWF mit ins Boot geholt hat, um die ganze Verantwortung für die Griechenland-Krise dann von sich persönlich fernhalten zu können. „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, hatte die Kanzlerin einst gesagt. Wie recht sie wenigstens mit dieser Äußerung hatte, wird sie schon in Bälde erfahren! Denn selbst in Deutschland, wo es der Wirtschaft zwar ausgezeichnet, dem Bürger aber zunehmend schlechter geht, weil die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird, ist die Sparpolitik vollends gescheitert. Nicht nur die vielen Streiks in den letzten Monaten, sondern auch der Strukturverfall in vielen Bereichen unseres Landes bestätigen das nur. Deshalb trinke ich einen Ouzo auf Griechenland: Wir brauchen eine neue Zukunft in Europa!

THOMAS HENSCHKE , Berlin

Laborratte

betr.: „Scheitert Europa, scheitert Merkel“, taz vom 30. 6. 15

Es ist schon erstaunlich, wie es Griechenland gelingt, mit einer geringeren Bevölkerungszahl als Bayern und einer geringeren Wirtschaftsleistung als Hessen den europäischen Wirtschaftsraum zu gefährden. Ja sogar die weltweite Wirtschaft, war kürzlich zu lesen. Die bisherigen Kosten der Wiedervereinigung in Deutschland werden auf 1,4 bis 2 Billionen Euro geschätzt. Die Kosten wurden von Deutschland alleine verdaut. Die Wirtschaftsleistung der EU beträgt circa 14 Billionen Euro/a. Dagegen stellen die griechischen Staatsschulden mit circa 320 Milliarden Euro „Peanuts“ dar (eine Billion sind tausend Mil­liar­den).

Die Kredite, die Griechenland erhalten hat, dienten zur Rettung deutscher und französischer Banken sowie anderer institutioneller Anleger, die sich verspekuliert hatten. Nur etwa 10 Prozent der Gelder kamen direkt bei der griechischen Bevölkerung an. Es gibt neben dem Schuldner mit seiner Verantwortung auch den Gläubiger mit seiner Verantwortung. Nun wird es aber so dargestellt, als wären die Griechen die Hinterlistigen, die den arglosen Gläubiger bösartig getäuscht hätten. Wenn dem so wäre, dann müsste man Schäuble und Kollegen wegen Unfähigkeit sofort entlassen.

Auch interessant sind die zu hohen griechischen Renten. Ich glaube eher, dass die deutschen Renten zu niedrig sind. In München von der normalen Rente zu leben, ist schon ein Kunststück. Sehr spannend ist, dass Griechenland dem „Deutschen Weg“ folgen und Überschüsse erwirtschaften soll. Nur ist es nach der Saldenmechanik so, dass der Exportüberschuss des einen Landes die negative Bilanz des anderen Landes ist. Der wirkliche Grund liegt darin, dem vagabundierenden Vermögen Realisierungsmöglichkeiten zu verschaffen. Es geht um die Privatisierung von Volkseigentum wie Ländereien, Verkehrsinfrastruktur, Kommunikation, Energieversorgung, Wasserversorgung, Gesundheitswesen. Griechenland ist derzeit die größte Laborratte in Europa. ULRICH FECHNER, Hohenbrunn