3.000 Anschläge auf die Koalition (16): Ulrike Hauffe fordert, Frauen weiter ins Zentrum zu rücken
: Armut ist geschlechtsspezifisch

Ulrike Hauffe

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ist Psychologin und seit 1994 Bremer Landesfrauenbeauftragte. Sie leitet den Frauen- und Gleichstellungsausschuss des Deutschen Städtetags und ist Vorsitzende des Ausschusses "Prävention, Versorgung, Rehabilitation und Pflege“.

Die nerven, die Frauen. Sagt zwar keiner laut, denken aber einige. Auch bei den Koalitionären sind manche so unterwegs. Das aber hilft beim zentralen Problem, Bremens Armutsentwicklung, kein Stück weiter.

Im Gegenteil. Ich wünsche mir von der neuen alten Regierung und von den Regierungsfraktionen, dass sie die Situation von Frauen in Bremen nicht als Detail des Armutsproblems begreifen, als randständiges womöglich noch dazu. Sondern dass sie die Situation von Frauen ins Zentrum ihrer Sicht und damit ihres Handelns gegen Armut rücken.

Warum? Weil Armut in Bremen tatsächlich arme und armutsgefährdete Frauen meint. Bei der Erwerbstätigkeit von Frauen ist Bremen im Bundesvergleich weit abgeschlagen. Jede dritte erwerbsfähige Frau im Land Bremen ist ohne bezahlte Arbeit. Die wenigsten von ihnen, weil sie es so wollen. In Bremen sind so viele Frauen wie in keinem anderen Bundesland auf Hartz IV angewiesen. Diejenigen, die arbeiten, tun es häufig im Minijob oder in Teilzeit. Frauen verdienen hier im Schnitt 25 Prozent weniger als Männer, auch damit liegt Bremen national wie international hinten.

Wenig Einkommen macht wenig Rente und Altersarmut. Alleinerziehende – in Bremen leben viele, 90 Prozent von ihnen sind Frauen – haben es besonders schwer. Die Erwerbstätigenquote alleinerziehender Mütter ist bundesweit eine der niedrigsten. Die meisten derer, die arbeitslos sind, sind langzeitarbeitslos und haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Noch Fragen, was Armut in Bremen bedeutet?

Minijobs eindämmen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse dort beenden, wo das Land Einfluss hat. Wirtschaftsförderung in verdienstträchtigen Zukunftsbranchen gezielt so ausrichten, dass Frauen Zugänge zum Arbeitsmarkt bekommen. Das heißt: Einstiege durch Qualifikationsangebote ebnen, Teilzeitausbildungen ermöglichen, ausreichende und flexible Kinderbetreuung bieten, auch für Schulkinder, angemessene Bezahlung gewähren, die Existenz sichert und nicht zu Hartz IV zwingt. Arbeitszeitmodelle unterstützen, die Müttern – und Vätern! – Vereinbarkeit möglich machen. Das ist nicht nur Unternehmenssache:

Die Nachwahlrangeleien haben die Programme verflüssigt: Es tauchen Pläne auf, Ideen werden konkretisiert und Vorhaben benannt, von denen vor dem 10. Mai noch gar nicht so recht die Rede war. So wollen die designierten Koalitionäre ihre Profile schärfen. Die Gastkommentar-Serie der taz hilft Grünen und SPD dabei: Hier bündeln AkteurInnen der Zivilgesellschaft ihre Forderungen in Texten von je 3.000 Anschlägen.

Heute: Ulrike Hauffe, Bremens Landesfrauenbeauftragte

Dort, wo mit Landes-, Bundes- oder EU-Mitteln Betriebe gefördert werden und auch als Arbeitgeber kann der Bremer Senat Einfluss nehmen. Berufswege verlaufen oft nach traditionellen Rollenbildern. Dies aufzubrechen, ist Aufgabe von Bildung. Zweijährige oder kürzere Ausbildungen in „typischen“ Frauenberufen wie die zur Sozial- und Pflegeassistenz fördern Frauenarmut, weil sie wenig Perspektive und sehr wenig Geld bieten: Schluss damit. Mütter- und Frauengesundheitszentren in den Stadtteilen müssen gestärkt werden. Sie befähigen und qualifizieren Frauen, und das niederschwellig.

Die Koalitionäre haben vielleicht etwas von dem berücksichtigt. Richtig wäre, die Geschlechtsspezifik von Armut klar zu benennen – und Maßnahmen ausdrücklich danach auszurichten. Um klar zu sehen, reicht oft ein Wechsel der Blickrichtung. Auch wenn es einige nervt: Frauen ins Zentrum von Armutsbekämpfung zu rücken, wird helfen!