Der Bruch im Halbgott-Image

Ärzteprotest an allen Fronten: Nach den Klinikärzten ziehen morgen in Köln auch niedergelassene Mediziner auf die Straße. Der Wunsch nach mehr Geld ist nur ein Motiv. Ärzte beschäftigt auch die Degradierung zum ganz normalen Beruf

VON COSIMA SCHMITT

Allmählich wird es ein vertrautes Bild: Ärzte, die Plakate schwingen statt Stethoskop und Skalpell. Erst protestierten die Klinikmediziner. Morgen machen niedergelassene Ärzte die Praxen dicht. Der Verein „Freie Ärzteschaft“ ruft zum „nationalen Protesttag“ auf. Die Veranstalter hoffen auf bundesweite Unterstützung. Tausende Ärzte sollen Köln in einen Hort des Protestes verwandeln.

Der Unmut der selbständigen Ärzte richtet sich vor allem gegen eins: das Punktesystem in der Abrechnung. Dass Ärzte erst am Ende des Vierteljahres erfahren, wie viel genau sie für die geleisteten Dienste erhalten, empfinden sie als unzumutbar. „Erst stirbt die Praxis, dann der Patient“ – mit solchen Slogans wollen sie gegen das Prozedere protestieren. Viele Praxen fänden keine Nachfolger mehr, so die Freie Ärzteschaft.

In der Tat verdienten niedergelassene Ärzte 2002 etwas weniger als etwa 1998. Diese Daten aber umfassen lediglich ihre Einnahmen als Kassenarzt. Wieweit sie diese durch privat bezahlte Leistungen aufstocken, ist nicht bekannt. So verwundert es nicht, dass nicht alle Ärztevertreter in den pauschalen Protestchor einstimmen. Der Deutsche Hausärzteverband etwa, größter Berufsverband der deutschen Vertragsärzte, verhält sich „ausdrücklich neutral“, so eine Sprecherin.

Viele Fachleute halten einige der Finanzprobleme zudem für hausgemacht. Denn nach wie vor beherrschen Einzelpraxen den deutschen Markt – obwohl in einer Zeit der teuren Apparatemedizin besser dasteht, wer Fixkosten in einer Gemeinschaftspraxis aufteilt. Als problematisch gilt vielen weniger die Größe des Kuchens, der zu verteilen ist, als dass der Wohlstand innerhalb der Ärzteschaft so ungleich verteilt ist. Ein Haus- oder Kinderarzt etwa verdient in der Regel weit weniger als ein Radiologe.

Etwas anders ist die Lage bei den Klinikärzten. Sie protestieren gegen im europäischen Vergleich mäßige Bezahlung gerade der jungen Klinikärzte. Die Interessenvertretung Marburger Bund will für Ärzte einen separaten Tarif aushandeln, der bis zu 30 Prozent mehr Lohn vorsieht. Eine so hoher Lohnzuwachs gilt allerdings als kaum finanzierbar.

Klinikärzte wie Selbständige begründen ihre Proteste mit der drohenden Abwanderung junger Ärzte ins Ausland. Schon 6.300 Mediziner, so der Marburger Bund, arbeiten jenseits der Grenze. Gleichzeitig seien 5.000 Stellen unbesetzt. Für ein simples Rechenspiel indes taugen die Zahlen kaum. Denn zugleich sind nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft derzeit etwa 6.000 Ärzte arbeitslos gemeldet. Nicht jeder Bewerber eignet sich für jede Stelle – und manchen bindet die Familie an einen Ort. Empirisch feststellbar ist zudem eine Wanderung gen West: Westdeutsche Jungärzte entfliehen der Provinz und ziehen in die Städte. Die Lücke füllen ostdeutsche Mediziner, die der höhere Westlohn lockt. An ihre Stelle treten immer häufiger Osteuropäer. In Sachsen etwa arbeiteten 2001 lediglich 254 ausländische Ärzte. 2004 waren es schon 722. Einen Teil der Ärztenot Ost könnte also der Zuzug etwa aus Polen auffangen.

So lässt sich der Protest der Klinikärzte denn auch als Symptom eines Strukturwandels deuten: Früher galt der strapaziöse Klinikalltag vor allem als Übergang in die Selbständigkeit. Heute ist er für viele eine Lebensperspektive. Umso kritischer beäugen sie die Arbeitsbedingungen. Daneben erleben Ärzte auch einen Imagewandel. Die vielen Berichte über den Klinikalltag lassen einen Arzt weniger als Halbgott denn als Handwerker am Menschenwohl erscheinen. Die Ärzteproteste – sie sind mehr als eine Geldfrage.