ORTSTERMIN: AN DER NEUEN TRAMPSTELLE IN KIEL
: Fesseln für die Reisefreiheit

Das schönste an Kiel ist, wie schnell man wegkommt  Foto: Christoph Botka

Das Trampen ist nicht tot. Wie sonst soll man sich erklären, was seit einigen Tagen auf dem Kieler Westring zu sehen ist. Dort, wo sich die sechsspurige Straße mit der auslaufenden Autobahn 215 kreuzt und sich ein skandinavisches Einrichtungsunternehmen niedergelassen hat, genau dort steht am Seitenstreifen ein Schild mit dem ausgestreckten Daumen drauf. Es ist Deutschlands erste offizielle Trampstelle.

An diesem Nachmittag jedoch, knapp eine Woche später, scheint der Zauber des Anfangs bereits verflogen. Der dreißig Meter lange Seitenstreifen vor der Kreuzung, auf dessen scheinbar optimale Anhalte-Bedingungen das Schild hinzuweisen versucht – er ist zur Hälfte zugeparkt. Aber das macht nichts, denn momentan will eh niemand trampen. Da stört es auch nicht, dass sich das Schild in seinem Grün unauffällig in die dahinter stehende Baumreihe einfügt. Unbeachtet steht es da und wirkt ein wenig verloren. Wer es da so einsam stehen sieht, der muss sich an eine lang vergangene Zeit erinnert fühlen, in der man noch wagte, sich dieser wilden Art des Reisens hinzugeben.

Oder man legt die Nostalgie beiseite und wagt es tatsächlich noch mal. Von den ursprünglich dreißig Metern sind schließlich noch zehn frei und der Verkehr fließt verlockend dicht in Richtung Autobahn. Nach Hamburg soll es gehen. Also Daumen raus. Bei einer offiziellen Trampstelle sollte das funktionieren. Nach Sekunden die Enttäuschung: Das erste Auto ist einfach weitergefahren. Das zweite auch. Mist. Nach kurzer Zeit stellt sich dasselbe, unangenehme Gefühl des Ausgeliefertseins ein, wie schon auf einsamen lettischen Landstraßen oder Autobahnzubringern kurz vor Rom. Dass hier ein Schild steht, scheint die Fahrer nicht zu beeindrucken. Man hat sie auch hier zu erdulden, die misstrauischen Blicke hinüber zu dem exotischen Mann, der einfach so da steht: ohne eigenes Auto, ohne Bahncard oder Fernbusticket!

Nach zwanzig Minuten hält Thorsten. Er ist selbst drei Jahre lang auf der Walz getrampt. Gehalten hätte er auch ohne Schild. Er fährt bis nach Rendsburg. Von da aus geht es mit Ali weiter nach Hamburg. Eine angenehme Reise mit guten Gesprächen und sympathischen Fahrern. Das Trampen ist eine bereichernde Form des Reisens. Nirgends sonst kommt man so spontan auf so engem Raum mit wildfremden Menschen zusammen.

Doch hilft dieses Projekt? Oder wird das Schild zu einer Art Denkmal einer toten Reiseform? Schwer zu sagen. Doch in diesem Schritt zur Institutionalisierung des Trampens liegt an sich schon ein Widerspruch. Denn diese Form des Reisens lebt von ihrer Unberechenbarkeit, vom Ausbruch aus allem Geregelten, von der Suche nach dem eigenen Weg von A nach B, gegen alle Widrigkeiten. Die Seele des Trampens liegt in der Auflehnung gegen die Institution und der Freiheit, die dadurch erlebbar wird.

Die Institutionalisierung wie in Kiel dagegen macht einen Schritt auf all diejenigen zu, die es sich längst in der Berechenbarkeit des Reisens gemütlich gemacht haben, in denen für den Ausbruch schon lange kein Feuer mehr brennt.

Doch genau dieses Feuer braucht es, um sich für das Reisen per Anhalter zu begeistern. Die glücklichen Sklaven seien die erbittertsten Feinde der Freiheit, schrieb einst Marie Ebner von Eschenbach. Das gilt auch für das Reisen. Und für eine seiner freiesten Formen: das Trampen. Kristof Botka