Wenn der Rubel rollt

Durch die Sofia-Connection wurde aus Betz der europäische SpeditionsrieseDie Bestechung war ein schlauer Schachzug – aber nur ein bauernschlauer

AUS REUTLINGENPHILIPP MAUSSHARDT

Der Empfang am Münchner Flughafen war kühl. Beamte des baden-württembergischen Landeskriminalamts erwarteten an diesem 21. September 2005 den Businessclass-Passagier Thomas Betz, 47, der mit dem Lufthansa-Flug 3437 aus Sofia kam. Dem Juniorchef und Geschäftsführer der größten deutschen Spedition, Willi Betz, wurde der Haftbefehl vorgelesen, Handschellen angelegt, dann ging es direkt nach Stuttgart-Stammheim. Betz wird vorgeworfen, Beamte und Politiker in Osteuropa bestochen zu haben. Auch der Vizepräsident des Kölner Bundesamtes für Güterverkehr, Rolf Kreienhop, soll auf seiner Bezugsliste gestanden haben.

Den Namen Betz, der in blauen Lettern auf strahlend gelben Lastwagenplanen prangt, kennt jeder, der je auf einer europäischen Autobahn unterwegs war. Wie viele Wagen die Spedition besitzt, ist selbst den Logistikern des Unternehmens nicht genau bekannt: Viele Betz-Laster gehören zu Subunternehmern oder Tochterfirmen. Rund 4.000, so schätzt man, gehören zum Betz-Imperium.

Angefangen hatte alles ganz klein: Der Krieg war gerade aus und Willi Betz, 17-jähriger Bauernsohn aus Undingen, einem Dorf auf der Schwäbischen Alb, sah einen verlassenen Lastwagen am Straßenrand stehen, den die französische Armee auf ihrem Siegeszug durch Württemberg aufgegeben hatte. Noch während in Potsdam Stalin, Truman, Churchill und De Gaulle über den Frieden verhandelten, verhandelte Betz über den Kauf des mit einem Holzvergaser betriebenen Lastwagens. Und noch bevor die Staatschefs den Friedensvertrag unterzeichneten, fuhr Betz seine erste Fuhre von der Alb hinunter ins nahe Reutlingen: Lebensmittel, Brennholz, Kohlen. Dass der 17-Jährige keinen Führerschein besaß, interessierte nicht.

Von Anfang an hatte sich „dr Willi“, wie ihn seine schwäbischen Freunde und Nachbarn bis heute nennen, Ziele gesetzt: Erst wollte er es auf fünf eigene Laster bringen (1953), dann auf zehn (1960), dann wollte er größter deutscher Fuhrunternehmer werden (1975). Heute ist er Europas Nummer eins.

In Undingen galt man früher als reich, wenn man mehr als vier Hektar Acker besaß. Die Böden sind karg und steinig und die Erbteilung hinterließ den Bauernsöhnen nur handtuchgroße Äckerchen. Wer pfiffig war, verließ die Alb und zog in die Industriestädte des Unterlands. Willi war anders. Willi wollte bleiben und zeigen, dass man auch in Undingen sein Glück machen kann. Willi war mit 19 Jahren der reichste Undinger.

Das rasante Wachstum verdankt „dr Willi“ vor allem seiner Nase. Er hatte ein Gespür dafür, woher der Wind wehte. Betz roch die wirtschaftlichen Entwicklungen lange bevor sie sich unter aller Augen vollzogen. Als die wieder zu Geld gekommenen Deutschen in den 50er-Jahren billigen Wein aus Italien und Frankreich trinken wollten, lieferte er den Fusel mit eigens gebauten Tanklastwagen. In den 60ern, als kaum ein Spediteur es noch wagte, Waren in den Nahen Osten über die unsicheren Straßen zu transportieren, baute Betz seine Lkw-Flotte in den Iran, aber auch nach Syrien, Kuwait und Saudi-Arabien aus.

Den Coup seines Lebens aber machte Willi Betz in den 70er-Jahren. Mitten im Kalten Krieg fuhr der politisch konservative Willi in die bulgarische Hauptstadt Sofia und schloss mit der Regierung einen Handel: Willi Betz übernahm die Logistik des staatlichen Fuhrunternehmens Somat und war damit kapitalistischer Herrscher über ein sozialistisches Unternehmen.

Betz sicherte sich so nicht nur den Zugang zum osteuropäischen Markt, er setzte die billigen bulgarischen Fahrer auch auf westeuropäischen Routen ein. Heute gehört Somat zu hundert Prozent Betz, inklusive mehrerer Schwarzmeerfähren, Krankenhäuser und Supermärkte in Sofia.

Die Sofia-Connection war der tragende Grundstein, der aus dem mittelständischen schwäbischen Unternehmen den europäischen Speditionsriesen werden ließ. Denn wo der Konkurrenz durch strenge Lenkzeitenregelungen und Tariflöhne Grenzen gesetzt waren, fuhren auf den Mercedes-Lastern von Betz immer gleich zwei bulgarische Fahrer. Die waren billiger als ein deutscher Fahrer – und schneller. Weil sie sich am Steuer abwechseln konnten, waren die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten für die Betz-Fahrer kein Problem.

Die Konkurrenten in ganz Europa bekamen mittlerweile schon beim Anblick eines Betz-Lasters auf der Autobahn einen Würgereiz – keiner war und ist in der Branche so verhasst wie der Bauernsohn von der Alb.

Im schwäbischen Reutlingen aber blieb Betz immer Willi der Große, eine „Reschpektsperson“. Ein ganzes Stadtviertel gehört ihm hier, auf dem Lagerhallen, Waschstraßen, die Logistikzentrale und Parkplätze untergebracht sind. Dass sich Willi Betz hier zwischen die hässlichen Industriebauten auch seine Villa sowie Pferdestall und Reithalle für seine Frau baute, ist typisch für einen, der sein Leben dem Lastwagen gewidmet hat. Hier wuchs der Betz-Sohn Thomas auf: zwischen Lkw-Reifen und Europaletten.

Geben und nehmen – im Hause Betz ein guter Brauch. An einem Weihnachtsabend in den 70er-Jahren fuhr eine dunkelblaue Mercedes S-Klasse vor der Villa von Willi Betz vor und der Fahrer überreichte dem Hausherren Schlüssel und Papiere. Eine kleine Aufmerksamkeit des Hauses Mercedes-Benz, denn Betz war mittlerweile einer der besten Kunden des Fahrzeugherstellers. Bis heute besteht der Betz-Fuhrpark ausschließlich aus Mercedes-Lastern.

Der Reichtum des Firmenchefs sprach sich aber leider auch herum: In einer Mainacht vor zehn Jahren überwanden Einbrecher den Gitterzaun der Villa. Die standen plötzlich im Wohnzimmer vor Betz und bedrohten ihn mit der Waffe. Willi Betz – in seiner Undinger Art – versuchte sie mit bloßen Händen von ihrem Treiben abzuhalten. Doch die drei Räuber schossen. Noch heute steckt eine Kugel im Oberschenkel von Willi Betz – zu dicht an einer Arterie, als dass man sie entfernen könnte.

Seit jenem Tag hat man Willi Betz nicht mehr oft gesehen. Die Geschäfte überließ er seinem Sohn Thomas, er selbst lebte zurückgezogen im Industriegebiet und fuhr allenfalls noch zu offiziellen Anlässen nach Sofia oder Tiflis, wo man ihn wie einen Staatsgast empfing. Erst 2004 eröffnete Willi Betz in Sofia das modernste Logistikzentrum Osteuropas im Beisein von Ministern, Abgeordneten, dem Oberbürgermeister und dem deutschen Botschafter. Zu Hause aber brannte da schon längst das Dach: Seit 2002 sammelte die „Ermittlungsgruppe Transit-Ost“ Beweise gegen Betz, den sie verdächtigten, illegal bulgarische Fahrer zu beschäftigten und durch ein Netz von Tarnfirmen in Georgien und Kasachstan sich illegal Transitgenehmigungen, so genannte CEMT-Genehmigungen für das EU-Gebiet beschafft zu haben.

Was die Fahnder von LKA und Zoll und den Finanzbehörden vermuteten, fanden sie schließlich schwarz auf weiß bei der größten Firmenrazzia in der Geschichte der Bundesrepublik: Am 26. März 2003 überrollten 800 Polizisten, Steuerfahnder und Staatsanwälte das Firmengelände in Reutlingen. Weil die Durchsuchung länger dauerte und Arbeit hungrig macht, hatten die Beamten auch eine Gulaschkanone mitgebracht.

Seither gräbt sich die Staatsanwaltschaft Stuttgart durch die Akten. Man ist sich heute sicher, dass Betz vier Millionen Euro an Politiker und Beamte in Georgien, Kasachstan und Aserbaidschan bezahlt hat, um im Gegenzug die begehrten Transitpapiere zu bekommen. Mit diesen Papieren, die nur für den Transport von Waren zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken und der EU galten, sollen die bulgarischen Fahrer aber auch Aufträge innerhalb der EU abgewickelt haben. Dazu hatte Betz in den ehemaligen Sowjetrepubliken Tochterfirmen gegründet, bei denen seine bulgarischen Fahrer auf dem Papier angestellt waren. Ein auf den ersten Blick schlauer Trick, um die strengen EU-Transportrichtlinien zu umgehen. Auf den zweiten Blick war es doch nur bauernschlau.

Denn um die Korruption in Europa einzudämmen, hatte Deutschland 1999 eine Forderung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa erfüllt und die Bestechung ausländischer Amtsträger ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Bis dahin waren solche, vor allem in Osteuropa bis heute üblichen Schmiergeldzahlen als „nützliche Ausgaben“ von der Steuer absetzbar gewesen. Gegen die Millionen für georgische und aserbaidschanische Beamte wirkt die „Zuwendung“ an den deutschen Vizepräsidenten des Bundesamtes für Güterverkehr, Rolf Kreienhop, eher schwäbisch-geizig: Kreienhop wurde mit einem Mercedes C-Klasse abgespeist. Dafür soll er Betz über anstehende Kontrollen informiert haben.

Selbst Experten halten die deutschen Gesetze für überzogen: Es gibt Staaten, so der Justiziar der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Jürgen Möllering, wo Zahlungen an Amtsträger „erforderlich sind, um sie überhaupt dazu zu bewegen, ihre Pflicht zu tun“.

Betz-Anwalt Dietrich Quedenfeld vermutet gar hinter „der Verbissenheit“ von Staatsanwaltschaft und LKA den Versuch, „die Firma Betz kaputtzumachen“. Der Druck auf die Bundesregierung von Seiten anderer EU-Mitglieder war immer größer geworden. Vor allem Spediteure aus Frankreich und Spanien beschwerten sich über den Trickser aus Deutschland. Bei einem Treffen der EU-Verkehrsminister vor drei Jahren gab es nur einen Tagesordnungspunkt: die Praktiken des Willi Betz.

Betz selbst hatte sich die Übergabe der Firma an seinen Sohn Thomas ganz anders vorgestellt: Zum Abschied aus dem Berufsleben wollte der Senior im eigenen Maybach sein „Königreich“ abfahren: im Fond der Luxuslimousine bis nach Georgien und Aserbaidschan.

Nun aber sitzt der Junior in Untersuchungshaft in Stammheim. Weil es Thomas Betz dort nach wenigen Tagen langweilig wurde, beantragte er, in der Gefängniswäscherei arbeiten zu dürfen. Er wurde als Bügler eingestellt: Viele Häftlinge tragen jetzt von ihm gebügelte Hemden.