Der in Oslo unerwünschte Buchhändler

Auch als Buchhändler kann man weltweit berühmt werden, wenn man wie Shah Muhammad Rais die Hauptperson eines internationalen Bestsellers ist. Er ist der Buchhändler von Kabul im gleichnamigen Buch der norwegischen Starjournalistin Åsne Seierstad. Das 2002 erschienene Buch wurde inzwischen in 35 Sprachen übersetzt und in über einer Million Auflage verkauft. Was sich für Seierstad lohnte, war für den Buchhändler ein Desaster.

Shah Muhammad Rais fühlt sich durch die Veröffentlichung nicht nur um seine Ehre und die seiner Familie gebracht, sondern jetzt auch noch bedroht. „Ich fürchte Blutrache“, berichtete er der Osloer Tageszeitung Aftenposten. Wegen der intensiven Schilderung seines Familienlebens einschließlich von Intrigen und anstößigen Liebesgeschichten hat er Seierstad, die mehrere Monate in seinem Haus lebte, „Missbrauch von Gastfreundschaft und die Kränkung der Ehre unserer Familie, die sie regelrecht zur Schau stellte“, vorgeworfen. Vor allem sind es einige Sätze über ein außereheliches Verhältnis seiner Schwester, die Shah Muhammad Rais religiös motivierte Racheaktionen fürchten lässt.

Nach seinen Angaben ist Seierstads Buch mittlerweile bei einem Verlag im Iran auf Farsi erschienen, das mit Dari, einer der beiden Hauptsprachen Afghanistans, nahe verwandt ist. Der Inhalt habe sich daher auch in seiner Heimat verbreitet. Und jetzt plane ein pakistanischer Verlag eine Übersetzung ins Pashto, der anderen afghanischen Hauptsprache. Zwar beteuert Seierstads Verlag, zum Schutz von Muhammad Rais ausdrücklich keine Rechte für diese Sprachen verkauft zu haben. Doch dass es Raubdrucke und -übersetzungen geben könnte, ist laut Kennern der Branche wahrscheinlich. Abgesehen davon, dass Muhammad Rais wie von Seierstad beschrieben selbst jahrelang Raubdrucke anderer Werke vertrieb.

Nachdem er schon im September über ein mögliches Asyl seiner ersten Frau Azíza in Kanada berichtet hatte, erzählte er vergangene Woche Aftenposten: „Ich plane, Asyl zu suchen. Norwegen scheint mir dafür ein gutes Land zu sein.“ Doch diese Offenheit war nicht klug. Denn Norwegens Ausländerbehörde widerrief jetzt unter Bezug auf diese Asylgedanken die Touristenvisa, die ihm, seiner jüngsten Frau Suraya und drei Kindern für einen Besuch ausgestellt worden waren. Der Buchhändler musste in Kabul bleiben.

Offiziell sollte sein Besuch dazu dienen, Material für ein Buch zu sammeln. Es soll im nächsten Frühjahr erscheinen und seine Version des Besuches der Journalistin Åsne Seierstad bei ihm und der Debatte über ihr Buch enthalten.

REINHARD WOLFF