Flüchtlinge im Meer ertrinken lassen

FLÜCHTLINGE Immer mehr Menschen versuchen über das Mittelmeer in die europäischen Staaten zu gelangen. Vielen gelingt es, an den südlichen Küsten der EU zu landen, doch viele andere verlieren bei der Überfahrt ihr Leben

Flüchtling in Italien Foto: dpa

Thema Embargo

betr.: „Turnbeutel aus Syrien“, taz vom 20. 4. 15

Sie unterstützen aktiv syrische Flüchtlinge, indem sie ihre Handarbeiten vertreiben. Das finde ich, und wir schweigen auch dazu, gut, aber …

Ich leite seit 1988 das Frauenprojekt in Syrien (ca. 1.000 Stickerinnen vor dem Krieg). Unsere Stickerinnen sind meist Inlandsflüchtlinge. Unser Export, auf den wir gerade jetzt angewiesen sind, leidet unter dem EU-Embargo gegen Syrien. So wurde mir (als Deutsche in Syrien lebend) sogar verwehrt, ein Konto bei einer deutschen Bank zu eröffnen. Wäre es neben humanitärer Hilfe nicht auch angemessen, das politische Thema des Embargos aufzugreifen, unter dem vor allen Dingen die Bevölkerung und besonders die Inlandsflüchtlinge leiden? Ohne dieses politische Engagement wird humanitäre Hilfe einfach nur abgewertet.

HEIKE WEBER, Damaskus, Syrien

Müssen wir sehen

betr.: „Was wir nicht sehen wollen“, taz vom 20./21. 6. 15

Ich lese meine Wochenend-taz am Sonntagmorgen – beim Frühstück. Da habe ich die meiste Muße. Diesmal, bei dem Titelbild, ahnte ich schon, dass das Lesen mit Muße nicht viel zu tun haben würde. Aber als ich dann die taz aufgeschlagen hatte, war ich geschockt und entsetzt. Einfach weiterblättern ging nicht, ein Blatt über das Foto der geöffneten Kühlkammer zu legen war mir auch nicht möglich, weiterfrühstücken auch nicht, denn mir war flau im Magen. Ich entschied, den Bericht ein paar Stunden später zu lesen, ich war es mir und den unbekannten toten Mitmenschen schuldig.

Natürlich weiß ich, dass Tote in Kühlhäusern vorübergehend „untergebracht“ werden müssen, bevor sie beerdigt werden. Aber allein das Beschreiben des „Entsorgens von Kadavern“ durch die große Anzahl von Toten täglich verlangt dem Leser sehr viel ab. Das Aufzählen von Summen und Rechnungen lässt Menschenschicksale zu Zahlenkolonnen werden. Die Menschen wiederum, die diese auszehrenden Arbeiten verrichten, müssen zusehen, wie sie damit „klarkommen“. Wie schaffen die das?

Wohin mit meinem Zorn und meiner Ohnmacht, an den politischen Zuständen der Flüchtlingspolitik etwas verändern zu können? Und ja: Wir an unseren schön gedeckten Sonntagmorgen-Frühstückstischen wollen so etwas eigentlich nicht sehen, aber wir müssen hinsehen, um uns unseres Luxus eines freien und behüteten Lebens bewusst zu werden. Und auch der Tatsache, dass wir Verantwortung für die Bedürftigen in ferner „Nachbarschaft“ tragen. Doch eine bittere Beklemmung und bedrückende Ratlosigkeit bleiben. DIETER und SIBYLLA NACHBAUER, Erlangen

Lust vergangen

betr.: „Was wir nicht sehen wollen“, taz vom 20. 6. 15

Vor fünf Minuten habe ich die taz aufgeschlagen. Mir ist die Lust vergangen, diese taz weiterzulesen, nachdem ich einige Sekunden lang das Foto auf Seite 3 angesehen habe. Ich bringe es nicht fertig, diese Seite 3 zu lesen, weil ich das Foto nicht ansehen kann. Mir ist flau im Magen, und die Lust auf mein Sonntagsfrühstück ist mir vergangen. Wie kommt ihr auf die Idee, so etwas in der taz zu drucken? Das, was den Flüchtlingen geschieht, ist für mich der absolute Horror. Ich brauche keine Bilder von gar nichts, um diesen Horror zu empfinden.

MICHAEL DROSS, München

Ein Systemfehler

betr.: „Menschen mit Visionen“, taz vom 18. 6. 15

Ines Kappert weist darauf hin, dass 60 Millionen Menschen alles aufgeben, weil es in ihren Heimatländern keine Chance zum Überleben gibt, und dass es sich dabei nicht um individuelles Versagen der Flüchtenden, sondern um einen Systemfehler handelt, dem die EU weiterhin militärisch begegnen will. Dann schlägt sie als „die“ Alternative eine durchdachte neue Einwanderungspolitik vor und fordert, dass eine internationale Einwanderungs- und Friedenspolitik erkämpft werden muss, damit sich der Flüchtlingsstrom beruhigt. Sind die eigentlichen Ursachen nicht bekannt, die diesen Menschen keine Chancen zum Überleben geben? Was ist mit beruhigen gemeint? Dass der Flüchtlingsstrom gleichmäßiger fließt? Er wird doch nie enden.

Es ist doch unsere „kriegerische“ Wirtschaftspolitik, die im Unterschied zur Kolonialzeit heute die „Sklaven“ gleich vor Ort in ihren Heimatländern für uns arbeiten lässt, indem sie uns die Rohstoffe ausliefern „dürfen“, die wir dann nach Gebrauch als Elektronikschrott wieder an sie „zurückgeben“. Es ist doch dieser unwürdige Gedanke, dass wir alle Konkurrenten sind und den „Partner“ kleinhalten müssen, wohl wissend, dass nur durch kooperatives Verhalten eine friedliche Welt entstehen kann.

Bitte lassen Sie uns die Dinge zu Ende denken und die Wurzeln des Übels verändern, damit alle ein gutes Leben haben können, da, wo sie geboren sind. Und wenn doch jemand auswandern möchte: Das können wir regeln. Wir brauchen eine gemeinwohlorientierte kooperative Wirtschaft, und da eine Vision Entwicklungszeit braucht, müssen wir für den baldigen Beginn kämpfen. Erst dann nimmt auch die Zahl der Kriege und der Flüchtlinge ab.

RALF LIEBERS, Sankt Augustin

Keine Trauerkultur

betr.: „Abgelegt wie Schlacht­abfälle“, taz vom 23. 6. 15

Das ist ja nun wirklich eine definitiv misslungene Politik des Zentrum für Politische Schönheit (besser sollte es heißen: Zentrum für Politisches Drama) und der taz-Berichterstattung! Ein sizilianischer Klinikdirektor wird entlassen, weil er weder Räume noch Personal noch Angehörige hatte, welche den Leichnamen ein würdevolles Ambiente hätten bereiten können.

Übrigens, auch hierzulande kommen Leichname ins Kühlhaus, ja, wie eben auch anderes Fleisch. Eine Trauerkultur, welche die Toten in ihrem Umfeld belässt, bis sie ins Grab oder in die Urne finden, gibt es auch bei uns kaum noch. Es ist die reißerische Berichterstattung „abgelegt wie Schlachtabfälle“ (was vermutlich nicht stimmt, denn Schlachtabfälle werden kaum extra umhüllt), die den Toten die letzte Würde raubt! Bitte umdenken!

BIRGIT KÜBLER, Regensburg

Wir schweigen dazu

betr.: „Was wir sehen müssen“,taz.de vom 21. 6. 15

Nach diesem Bericht stellt sich mir hauptsächlich die Frage, mit welchem Recht wir EU-Angehörige, die wir uns alle verantwortlich fühlen müssen, uns erlauben dürfen, uns hinzustellen und Zustände in einer völlig überforderten Region anzuklagen, die wir mit unserer Vogel-Strauß-Politik mitverursacht haben.

Nein, wir (die EU) haben Rechenschaft abzulegen – nicht von uns alleingelassene EU-Grenzbereiche, die vom Rest der EU mit ihrem Elend im Stich gelassen werden. Wir haben die Pflicht, diese Zustände schnellstmöglich zu ändern und uns zu schämen. Unsere Regierungen ducken sich weg und entsenden allenfalls eine von allen Mitgliedstaaten finanzierte Wach- und Putzkolonne Frontex.

Wir wissen auch, weshalb in Eritrea niemand nach seinen vermissten Angehörigen zu fragen wagt – und wir schweigen auch dazu.

NOEVIL, taz.de

LeserInnenbriefe
:

Asyldebatte in Deutschland

Statt den rechten Rattenfänger zu spielen, sollte Seehofer lieber den Erklärbär machen. Die Menschen wollen Politiker, die die Politik erklären und die Menschen mitnehmen. Dann werden die Politiker auch wieder glaubhaft

USER „ROBBY“ ZU „HELFER UND HETZER“, TAZ.DE VOM 25. 6. 15

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