Mitarbeiter vor dem Kollaps

Zur besseren Unterstützung von Familien fordert GAL mehr Personal für bezirkliche Jugendämter. Lange Wartelisten

Angesichts der neu bekannt gewordenen Fälle von Kindesvernachlässigung hat die GAL ihre Forderung nach Personalaufstockung bei den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) bekräftigt. Zugleich kündigte sie gestern an, diese Woche einen entsprechenden Antrag in die Bürgerschaft einzubringen. Die Personaldecke sei so dünn, dass die ASD ihrer Aufgabe – die Unterstützung von Kindern und Eltern in schwieriger Lebenslage – „nur unzureichend“ gerecht werden könnten. Fraktionschefin Christa Goetsch warnte, ein Fall Jessica könne sich schnell wiederholen.

Die Grünen verlangen, für alle unbesetzten ASD-Stellen „umgehend“ Fachpersonal einzustellen. Zum Stichtag 31. August seien stadtweit 20 Stellen vakant gewesen. Interfraktionelle Anträge in den Bezirken Wandsbek und Harburg, die eine sofortige Besetzung forderten, habe der Senat ignoriert, kritisierte die GAL. In Wandsbek seien 7,6 Stellen unbesetzt, in Harburg 3,8.

Wegen der Unterausstattung müssen die ASD Hilfebedürftige auf Wartelisten parken. Der Senat selbst wollte gegenüber der GAL keine Auskunft über die Zahl der Rückstände in den einzelnen Bezirken geben. Ein Bild aber vermittelt das Protokoll einer Sitzung des Jugendhilfeausschusses in Harburg im Mai.

Vor dem Gremium berichteten Harburger ASD-Mitarbeiter von 272 unbearbeiteten Fällen allein in ihrer Region. Zitiert wird in dem Protokoll der Regionalleiter mit der Warnung, aufgrund des Personalmangels fürchte der Dienst, „der Situation nicht mehr lange gewachsen zu sein. Jede Inobhutnahme, jede Krise wird zu einem Seiltanz“: Würden jetzt mehrere problematische Fälle „an der Grenze der Kindeswohlgefährdung“ gleichzeitig eingehen, „besteht die Gefahr, hierauf nicht mehr angemessen reagieren zu können“. Die wichtigen Hausbesuche seien aus Zeitmangel nur noch selten möglich.

GAL-Jugendpolitikerin Christiane Blömeke warnte, Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram handele „unverantwortlich, wenn sie zulässt, dass Wartelisten entstehen“. Die CDU-Politikerin „verschleppt die Probleme“ auch dadurch, dass sie – wie geschehen – Amtsleitern, Dezernenten und ASD-Mitarbeitern verbiete, vor der Bürgerschaft Stellung zu nehmen und einer früheren ASD-Mitarbeiterin wegen öffentlicher Kritik disziplinarische Schritte androhe.

Neben dem Personalmangel führt offenbar der Druck der Garantenpflicht, durch die die ASD-Mitarbeiter für Fälle von Kindesvernachlässigung strafrechtlich belangt werden können, zu einem enorm hohen Krankenstand. Dem Ausschussprotokoll zufolge kamen in Süderelbe in 2004 auf zehn Mitarbeiter 321 Krankheitstage. Einzelne Kollegen „stehen immer wieder vor dem Kollaps“, zitiert das Papier den ASD: „Für die Zukunft haben wir die größten Befürchtungen.“

Wie die GAL erklärte, weist die Finanzbehörde den Bezirken ein Personalbudget zu. Offene Stellen könnten nur besetzt werden, wenn aus der Zentrale mehr Geld flösse. Doch selbst wenn aktuelle Vakanzen getilgt würden, bleibt nach Ansicht der GAL eine Lücke. Die Zahl der „Soll-Stellen“ entspreche nicht mehr dem Bedarf und sei veraltet. Bergedorf etwa sei seit 1995 um 30.000 Einwohner gewachsen. Für 10.000 Menschen stehe dort nur noch ein Sozialpädagoge bereit. Eva Weikert