NDR gibt alles zu!

Laut einer Studie des Norddeutschen Rundfunks berichten Springer-Medien einseitig über die ARD – und halten sich bei ProSiebenSat.1 zurück

AUS HAMBURG SILKE BURMESTER

Kann man das Übel messen? Der NDR hat es versucht. In Reaktion auf die Ankündigung der Axel Springer AG, ProSiebenSat.1 übernehmen zu wollen, hat der Sender eine Studie in Auftrag gegeben, für die die Kommunikationswissenschaftler Lars Harden und Jan Blume der Frage nachgingen, ob die Springer-Presse anders über ARD, ZDF und ProSiebenSat.1 berichtet, als andere Printmedien dies tun.

Hierfür wurden 2.028 Artikel ausgewertet, die vom 1. Januar bis zum 31. August 2005 in Qualitätszeitungen und Boulevardmedien erschienen sind. Im ersten Segment wurden die Springer-Organe Welt und Welt am Sonntag (Wams) der Süddeutschen Zeitung (SZ), der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) gegenübergestellt. Für den Boulevard wurde die Berichterstattung von Bild, Bild am Sonntag (Bams) und B.Z. mit der des Kölner Express und Berliner Kurier verglichen. Das Ergebnis: Ja, sowohl Springers Boulevard- als auch Qualitäts-Medien berichten wesentlich häufiger negativ über die ARD als über die wahrscheinlichen künftigen Haus-Sender. Allerdings ist diese Erkenntnis mit Vorsicht zu genießen.

Vor allem vor dem Hintergrund, dass die ARD die größte Sendeanstalt ist, die Gebührendebatte und den Schleichwerbeskandal als Negativthemen hatte und überhaupt so genannte Qualitätszeitungen einem anderen journalistischen Auftrag nachgehen als die des Boulevards, ist die Aussagekraft von Hardens und Blumes quantitativer Auswertung fragwürdig – „SZ hat 293-mal über die ARD berichtet, 183-mal übers ZDF, 155-mal über ProSiebenSat.1“, die Bild „97-mal über ARD, 35-mal über ZDF und 23-mal über ProSiebenSat.1“. Aha.

Fundierter erscheinen die Erhebungen, in denen die ARD im Mittelpunkt des Interesses steht. So fällt auf, dass die „Qualitätszeitungen“ der Springer-Presse in ihrer Kritik mit 35 % (Wams) und 28 % (Welt) zum Teil deutlich vor den 26 % der FAZ liegen, auf die die SZ mit 24 % folgt. Im Boulevard ließ Springer die Bild mit 47 % Negativberichterstattung auf die ARD los, die Bams folgte mit 41 %. Die Artikel des Express hatten nur zu 18 % negativen Tenor. Was nicht heißt, dass der Rest positiv war – die Wissenschaftler haben für die nicht klar zuzuordnenden Artikel den Graubereich „nicht bewertet“ geschaffen, der zum Beispiel beim Express 79 % beträgt.

Blume und Harden haben auch in der qualitativen Auswertung der Berichte eine deutlich ARD-feindliche Tendenz bei den Springer-Medien ausgemacht. Auffällig zum Beispiel die aggressive Herangehensweise der Bild an den ARD-Schleichwerbeskandal: Ihm widmete man 20 Artikel und druckte beispielsweise ein Formular ab, mit Hilfe dessen Leser „Verdachtsfälle“ melden konnten (siehe Ausriss). Die aktuellen Schleichwerbefälle bei Sat.1 wurden hingegen mit nur vier Texten bedacht – und dann mit Schlagzeilen wie „Sat.1 gibt alles zu“ versehen.

Mit der Auswertung von 280 Texten haben sich die Analysten außerdem mit der Berichterstattung über den geplanten Kauf von ProSiebenSat.1 durch Springer befasst. Auffällig ist, dass die Springer-Organe sich rein mengenmäßig zurückhielten, jedoch weitaus mehr Fürsprecher in ihren Artikeln zu Wort kommen ließen als Gegner. Ein für Springer-Skeptiker interessantes Detail ist darüber hinaus, dass seit Bekanntgabe der Kaufabsicht im August die Negativberichterstattung über die ARD in den Springer-Medien geringer ausfällt. So hat diese sich bei der Bild fast halbiert.

Andere mögen einwenden, die ARD habe in diesem Zeitraum auch weniger verbockt. So oder so ist fraglich, ob die Studie Einfluss auf das laufende Verfahren beim Kartellamt nehmen kann, das bis Weihnachten abgeschlossen sein soll. Die ARD, die durch Springers weite Verflechtungen auch im Radiomarkt um ihre Stellung bangt, ist – anders als das ZDF – nicht zur Anhörung eingeladen. Mit dieser Studie hat sie nun auf anderem Wege versucht, ihre Bedenken kundzutun.