Einzigartig geschmacklos

„Uniform“ ist das Hasswort der Individualisten. Deshalb ziehen sie sich neuerdings ganz unansehnliche Stiefel an

„Das Wesen der Mode besteht darin, dass nur ein Teil der Gruppe sie übt, die Gesamtheit aber sich auf dem Wege zu ihr befindet“, schrieb Georg Simmel 1895 in seiner soziologischen Studie „Psychologie der Mode“. Schwer hat er es also, der Trend-Macher: Kaum tritt er mit einer neuen Textilidee vor die Haustüre, wird er von gierigen Nachmachern überfallen und ausgeraubt.

Mode soll anecken. Vor allem aber soll sie den Menschen besonders machen, gleich auf den ersten Blick. Doch die neue Ware am Ideen-Kiosk ist begrenzt. Alles kommt wieder, seufzt die Mode: Der Parka beispielsweise war Ende der 60er-Jahre ständiger Begleiter alternativer Freidenker. Heute geht er fremd, immer häufiger mit rosa Damen und gegelten Herren. Durch diese Endlosschleife verliert Mode nicht nur an provokativem Potenzial. Sie verkommt zur Uniform, die jede Individualität des Trägers verschluckt.

Wer nach optischer Einzigartigkeit süchtig ist, muss die Mode-Schmarotzer anders bekämpfen. Momentan im Angebot: geschmackloses Fußkleid. Denn was in diesen Tagen durch die In-Bezirke Berlins flaniert, will die breite Masse sicher nicht kopieren: braunbeige Stiefel, mit denen Großmutter im Vorgarten Unkraut rupfte. Oder in die Kirche stapfte – mit der feineren vanillefarbenen Version. Das Erstaunliche: Sie haben nichts, was von ihrer Geschmacklosigkeit ablenkt. Sie schreien: Ich bin alt und hässlich. Na und? Hübsch anzusehen ist das nicht. Zeigt aber: Deutschlands Mädchen lassen sich nicht mehr jeden Stiefel anziehen.

Modemagazine plädieren derzeit für einen neuen Markenfetischismus: Es soll wieder prollig „Prada“ auf Taschen und „Adidas“ auf Schuhen prangen. Und was kontert das Mädchen vom Prenzlauer Berg? Nicht mit mir! Pah! Ich bin wer, und meine Oma war wer.

Das hat sich noch nicht mal Kate Moss, britisches Model und moderne Stilikone, getraut. Ein antikes Offiziersjäckchen war da bisher das geschmacklich Mutigste. In diesen erlauchten Kreisen heißt der Zweite-Hand-Trend: „Poverty Chic“, chic wie ein Clochard. Aber Schuhe? Da hört das Modeexperiment auf. An denen erkennen die anderen deine Seele!

Alles war schon mal da, lacht die Mode. Der neue Trick: Etwas nehmen, was schon da, aber noch nie angesagt war. Und gerade weil die altbackenen Stiefel kein schöner Anblick sind: Nachmacher werden fürs Erste ausbleiben. Und Oma aus den Wolken gucken und sich freuen, dass das Enkelchen jetzt endlich mal was Vernünftiges anhat.

VERENA STEHLE