Die Wähler am Nil erwarten nicht viel

Reformkosmetik prägt Ägypten vor den heutigen Parlamentswahlen. Zwar war es noch nie so leicht, die Regierung Mubarak zu kritisieren – aber abwählen lässt die sich noch lange nicht. Im Gegenteil: Die Modernisierer sind schon auf dem Rückzug

„Wandel mit friedlichen Mittelnist in Ägyptenkeine Option mehr“

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

„Kommt raus, hört dem Parlamentskandidaten und Sohn unseres Blocks 136 zu!“ Mit knarrendem Lautsprecher zieht der moderne ägyptische Herold durch Ain As-Seera, ein Armenviertel in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Neugierig beugen sich die Nachbarn über ihre Wäscheleinen. Barfüßige Kinder laufen in der Gasse zusammen.

Am Ende der Straße steht Ahmad Abdallah. Hier ist er aufgewachsen, dann hat er in Cambridge studiert, und als einer von Ägyptens prominenten Politologen ist er jetzt Kandidat bei den ägyptischen Parlamentswahlen, die heute in die erste Runde gehen. Abdallah ist parteilos und wettert gegen die Korruption, Menschenrechtsverletzungen und Ineffektivität des Regimes von Präsident Husni Mubarak. „Wir haben seit Jahrzehnten die gleichen Leute im Parlament mit der gleichen alten Mentalität, mit Wahlbetrug, Einschüchterung und Stimmenkauf“, schimpft er. „Selbst der größte Idiot lässt sich nicht von dem Reformgerede überzeugen.“

Abdallah ist typisch für Ägyptens widersprüchlichen politischen Reformprozess. Der ägyptische Rebell kann sagen, was er denkt. „Er spricht wie Honig, und er ist einer von uns“, erklärt eine Frau aus der Nachbarschaft in ihrer Abaja, dem typischen schwarzen bäuerlichen Umhang. Doch zugleich wirkt er wie ein ägyptischer Don Quichotte, der verzweifelt gegen die sich ewig gleich drehenden Windmühlen des politischen Systems anrennt. Noch nie konnte Ägyptens Regierung so offen kritisiert werden, aber Präsident Husni Mubarak wurde vor zwei Monaten mit 88 Prozent der Stimmen nach einem Vierteljahrhundert Amtszeit bestätigt, auch wenn nur jeder fünfte Wahlberechtigte zur Urne ging. Und auch diesmal steht die absolute Mehrheit der Regierungspartei in der Volkskammer kaum in Frage.

Der Großteil der Betrügereien läuft mit dem Wahlregister. Gewählt werden darf eigentlich nur am Wohnsitz oder am Arbeitsplatz. Doch in Ain As-Seera finden sich 680 eingeschriebene Wähler im Namen des örtlichen Jugendclubs im Verzeichnis, obwohl dort nur ein halbes Dutzend Menschen arbeitet. Und sie alle sind zufällig Mitarbeiter des Jugendministeriums.

Als stärkste Oppositionsgruppe dürfte sich heute erneut die islamistische Muslimbrüderschaft erweisen. Anders als bei den letzten Parlamentswahlen wurden diesmal nicht im Vorfeld 6.000 ihrer Anhänger festgenommen. Im Gegenteil: Kamal al-Schasli, der Minister für Parlamentsangelegenheiten, beschrieb in einer Wahlkampfrede die Muslimbrüder unlängst „als eine politische Kraft, die nicht zu ignorieren ist“, und das, obwohl die Islamisten weiterhin nicht als Partei zugelassen sind und als Unabhängige antreten müssen.

„Keiner stoppt unsere Märsche, und überall hängen unsere Poster“, sagt stolz Muhammad Habib, der zweite Mann der Muslimbrüderschaft. Während vor fünf Jahren 90 Islamisten als unabhängige Kandidaten antraten, sind es diesmal über 150. Doch selbst Habib räumt ein, dass es wohl höchstens 50 Islamisten in das 444 Sitze umfassende Parlament schaffen könnten. Die anderen Oppositionsgruppen dürften vielleicht am Ende mit zwei Dutzend Repräsentanten vertreten sein.

Bei dieser Dominanz blieb noch die Hoffnung, dass sich wenigstens innerhalb der Regierungspartei NDP der Reformflügel durchsetzen könnte. Doch „bei der Auswahl der Kandidaten war von Reform keine Rede mehr“, erklärt NDP-Reformer Hossam Badrawi frustriert. „Das nächste Parlament wird weniger Reformer haben als das letzte.“

„Die alten Parteibarone haben den Präsidenten überzeugt, dass sie mit den traditionellen Methoden des Wahlbetrugs und der Wählereinschüchterung mehr Stimmen bekommen als die Reformer, und so haben sie noch einmal eine Chance bekommen“, glaubt auch Politologe Hassan Nafaa von der Kairoer Universität. „Wenn die NDP die üblichen Mehrheiten gewinnt, kann man davon ausgehen, dass ein demokratischer Wandel mit friedlichen Mitteln in Ägypten keine Option mehr ist.“

Am Ende seiner Wahlkampfnacht sitzt Abdallah völlig abgekämpft neben seinem Tee. „Ägypten ist ein hoffnungsloser Fall“, seufzt er. „Das Regime wird sich niemals selbst abschaffen.“