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Schweigen oder Weggehen„Kunst war für mich wie Befreiung“

Im schicken Hamburger Stadtteil Uhlenhorst hat der Onkologe Thanasis Bagatzounis eine Galerie eröffnet. Weil er auf Zypern Politiker kritisierte, wurde er entlassen.

Für ihn hat Kunst eine starke innere Kraft, die die Welt verändern kann: Thanasis Bagatzounis, Arzt - und neuerdings Galerist - in Hamburg. Foto: Miguel Ferraz
Lena Kaiser
Interview von Lena Kaiser

taz: Herr Bagatzounis, wie kommt ein Arzt dazu, eine Galerie zu eröffnen?

Thanasis Bagatzounis: Vor 18 Jahren habe ich meine Position als Oberarzt auf einer deutschen Universitätsklinik aufgegeben und bin mit meiner Frau und unserem Sohn nach Zypern umgezogen, um dort im Aufbau eines modernen Zentrums für die Krebstherapie mitzuwirken. Dieses Zentrum war von der größten kommerziellen Bank des Landes gestiftet, sollte aber von öffentlichen Geldern auf die Dauer finanziert werden.

Klingt vielversprechend. Aber es gab einen Haken?

Was wir damals nicht wussten ist, dass der Staat Zypern als Gegenleistung für die großzügige Spende der Banker, die Krebsabteilung im größten öffentlichen Krankenhaus für immer schließen musste, weil es die Banker so wollten. Das erfuhren wir erst als die ersten Kapazitätsprobleme und Engpässe in der Versorgung der Krebspatienten kamen.

Im Interview: 

52, ist Facharzt für Strahlentherapie und Radioonkologie in Hamburg und Inhaber der dortigen Galerie "Papenhuder 57". Geboren wurde er in Kozani im Norden Griechenlands. Nach dem Medizinstudium baute er auf Zypern ein Onkologie-Zentrum auf. Nach seinem Rauswurf kam er nach Hamburg, wo er früher schon mal fünf Jahre lang gelebt hatte.

Was bedeutete das für die ärztliche Versorgung?

Ich - und viele meiner Kollegen - hielten das für äußerst unethisch und haben reagiert, aber es war zu spät. Die Banker hatten bereits die Kontrolle der Krebspolitik übernommen, der Staat hatte sie ihnen praktisch überlassen. Und wir waren ihnen machtlos ausgeliefert, sie waren unsere Arbeitgeber und für uns gab es keine Alternative. Die Banker bestimmten, welche Investitionen für die Krebsbehandlung gemacht werden dürfen. Das ist bis heute so geblieben.

Und wie sind Sie damit umgegangen?

Zunächst habe ich als Präsident der damals neu gegründeten Onkologiegesellschaft Zyperns versucht, durch Vorträge, Zeitungs- und Fernsehinterviews, die Öffentlichkeit über die Notwendigkeit eines transparenten und gerechten Gesundheitssystems zu sensibilisieren. Schießlich musste ich, im Juli 2008, aufgrund der massiven Kritik, die ich gegen meinen Arbeitgeber, die Banker, und die Politiker des Landes richtete, eben dieses System verlassen.

Sie haben das Gesundheitswesen als korrupt bezeichnet. Was genau meinen Sie damit?

Für mich ist ein Arzt, der das Unrecht im Gesundheitswesen sieht, aber schweigt, weil er am Ende des Jahres ein gutes Bonusgeld für sein Schweigen bekommt, korrupt.

Auch in Deutschland gibt es Kritik an der Privatisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Wie sehen Sie beide Systeme im Vergleich?

Es hängt ja alles miteinander zusammen. Die EU, und eine große Lobby hinter ihr, versuchen, die nationalen Gesundheitssysteme zu einem europäischen Gesundheitsmarkt zu transformieren. Das ist die Philosophie der sogenannten „grenzüberschreitenden Gesundheit“ und Deutschland hat eine mächtige Industrie aufgebaut, um auch in diesem Marktsegment kompetitiv zu sein. Es geht um viel Geld und weniger um die Menschen Europas.

Nachdem Sie Ihre Kritik in Zypern äußerten, wurden Sie fristlos gekündigt.

Ja, und das war auch der Beginn meiner Auseinandersetzung mit Kunst. Es war für mich wie eine Befreiung. Ich habe sehr schnell eine Onkologie-Praxis gegründet und dort auch viele kulturelle Veranstaltungen organisiert und immer wieder versucht, auf die Gefahren der neoliberalen Politik im Gesundheitswesen aufmerksam zu machen. Kurz vor Zusammenbruch der Banken und der Wirtschaft Zyperns bin ich nach Deutschland zurückgekehrt und arbeite seitdem als Facharzt für Strahlentherapie und Radioonkologie.

Daneben haben Sie eine Galerie im schicken Hamburger Stadtteil Uhlenhorst gegründet.

Zunächst habe ich im Februar letzten Jahres hier in Hamburg das „Art Grexit project“ gestartet, eine Sensibilisierungskampagne für die Probleme krebskranker Menschen auf Zypern und in Griechenland, meinem Heimatland. Gleichzeitig war das Projekt eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Effekten der Korruption und der neoliberalen Reformen auf die Gesellschaft und die Menschen in den Krisenländern Europas. Die Gründung der Galerie „Papenhuder 57“ ist die Fortsetzung dieses Projektes. Wir organisieren regelmäßig Veranstaltungen, die nicht direkt etwas mit Kunst zu tun haben.

Hatten Sie vorher etwas mit Kunst zu tun?

Nein, überhaupt nicht. Mein Bruder ist Künstler, er lebt in Griechenland und zwar ziemlich isoliert vom Rest der Welt. Als wir uns 2011 in unserer Heimatstadt nach vielen Jahren wieder trafen, wurde mir erst bewusst, wie schwierig es ist, die Barrieren zwischen einem Künstler und einem Nicht-Künstler zu überwinden und einander zu verstehen. Mittlerweile arbeite ich gut mit Künstlern wie Penny Monogiou, Sylvia Henze und Montse Fontclara zusammen.

Was bedeutet Ihnen Kunst?

Ich denke, dass gute Kunst eine starke innere Kraft hat und, dass wenn man sie richtig einsetzt, sie die Welt positiv verändern kann.

Neulich sprachen Sie in Ihrer Galerie über „autonome kulturelle Diplomatie“. Was meinen Sie damit?

Damit wollte ich meinen Landsleuten sagen, dass jeder von uns ein Botschafter Griechenlands ist und, gerade in solchen Zeiten, wir unser Bestes geben müssen, um das negative Image von Griechenland zu verbessern. Das ist eigentlich nicht schwer, es reicht wenn wir unsere Kultur respektieren und uns nicht manipulieren lassen, originell und authentisch bleiben.

Sie glauben also, dass vieles von einzelnen Menschen abhängt - und sie also auch Verantwortung auf den Schultern tragen?

Sie müssen nicht große Politik machen. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir alle mit unseren Nachbarn, mit den Kollegen in der Arbeit oder mit den Kommilitonen sprechen und ihnen erklären, dass es sicher Sachen gibt, die in Griechenland falsch gemacht wurden. Aber man darf ein ganzes Volk nicht dafür bestrafen. Die meisten können nichts dafür. Wir müssen uns auch für die Rechtsverfolgung und Bestrafung der verantwortlichen Politiker einsetzen.

Wie stehen Sie zur Regierung von Alexis Tsipras?

Ich finde gut, dass die neue Regierung Griechenlands deutliche Signale gegen die Austeritätspolitik und das Diktat der Troika gesetzt hat. Ich begrüße, dass sie ein großes Nein zum weiteren Abbau des öffentlichen Gesundheitssystems und der Renten ausgesprochen hat und dass der öffentliche Rundfunk wieder sendet. Ich bin aber dagegen, dass der Gesundheitsminister mit den großen Pharmakonzernen verhandelt, um die Zahl der klinischen Studien für Erprobung von neuen Medikamenten zu erhöhen und dadurch Einnahmen für das Land zu erzielen. Das ist sicherlich der falsche Weg.

Was wäre der richtige?

Die Tsipras-Regierung hat es nicht einfach, aber sie bemüht sich und macht bis jetzt, insgesamt, eine anständige Politik.

Was muss dringend passieren?

Kommunale, kooperative Projekte im Bereich Gesundheit, Bildung und Kultur fördern, insbesondere in der Peripherie des Landes, und versuchen, durch Schaffung von Arbeitsplätzen die massive Flucht von jungen qualifizierten Menschen, das eigentliche „Grexit“, zu stoppen.

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