„Sonst gehen alle nach Prag“

WIRTSCHAFT Die Kreativen sind der Humus Berlins, sagt der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK), Jan Eder. Deshalb bräuchten sie günstige Flächen

■ 50, ist Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Berlin und Mitglied im Aufsichtsrat des Liegenschaftsfonds.

INTERVIEW SEBASTIAN PUSCHNER

taz: Herr Eder, waren Sie mal in den Prinzessinnengärten am Kreuzberger Moritzplatz?

Jan Eder: Ja, ich war einmal kurz drin, als ich in der Nähe ein Meeting hatte. Ich dachte nur: Typisch Berlin, da entwickeln sich solche Pflänzchen auf solch einem Areal, abgefahren.

Berlin hätte diese Brache teuer verkaufen können, anstatt den Gemeinschaftsgarten an Ort und Stelle zu belassen.

Wie in jedem derartigen Fall müssen sich das Land und der Bezirk in Zukunft überlegen, ob sie ein Grundstück verkaufen wollen oder für etwas anderes brauchen. Wenn Letzteres der Fall ist, muss es einen politischen Diskurs darüber geben, wofür es gebraucht wird.

In der Vergangenheit hat Berlin seine Grundstücke meistbietend über den Liegenschaftsfonds verkauft, um ordentlich Kasse zu machen.

Es gab eine Zeit, in der das seine gute Berechtigung hatte. Zum einen wegen der Finanzlage, zum anderen, weil es deutlich zu viele Grundstücke in Landesbesitz gab. Nur dafür wurde der Liegenschaftsfonds ja erfunden: Einnahmepolitik durch Verkäufe von Grundstücken.

Die Finanzlage hat sich nicht verbessert. Berlin hat 63 Milliarden Euro Schulden.

Die werden wir nicht dadurch beseitigen, dass wir noch für acht bis zehn Millionen Grundstücke verkaufen. Stattdessen ist es an der Zeit, sich gut zu überlegen, was die ganze Stadtgesellschaft braucht: fiskalisch, wirtschaftlich, kulturell, sozial.

Und was braucht sie?

Berlin kann versuchen, mit Grundstücken Sozialpolitik zu betreiben, dafür habe ich ein gewisses Verständnis. Aber das ist nicht die Baustelle der IHK. Wir müssen über wirtschafts- und stadtentwicklungspolitische Zwecke reden.

Reden Sie!

Ein für uns ganz wichtiges Thema sind Berlins Kreative. Insbesondere die freie Szene bekommt kaum Förderung: 95 Prozent davon gehen in die sogenannte Hochkultur. Wenn es nicht möglich ist, der freien Szene mit Geld zu helfen, dann muss es eben anders gehen.

„Wir sind zu abhängig von bezirklichem Denken. Wir brauchen den Gesamtblick des Landes auf so ein Thema“

Mit Land.

Ja. Die Kreativwirtschaft ist ein wichtiger Humus der Berliner Wirtschaft. Sie ist ein wesentlicher Faktor für den Tourismus, für die kulturelle Anziehungskraft, darum hat sie der Senat ja zu einem Schwerpunkt seiner Wirtschaftspolitik gemacht. Aber wenn er nicht mit Fördermitteln unterstützen kann, soll er es wenigstens mit Hilfe bei Wohn-, Arbeits- und Kulturraum machen.

Die IHK vertritt noch andere Branchen, die hätten sicher auch nichts gegen billige Grundstücke.

In der IHK-Vollversammlung hat die Mehrheit der Berliner Wirtschaft anerkannt, dass die Kreativwirtschaft mit ihren Synergieeffekten auch liegenschaftspolitisch besonders unterstützt werden sollte. Wenn die freie Kreativszene weggeht, dann haben wir ein ganz anderes Problem als die vermeintliche Bevorzugung einer Branche, zumal es jetzt gilt, grundsätzlich zu klären, auf welchen Grundstücken in der Stadt es überhaupt Sinn macht, die Kreativen zu unterstützen.

Wird diese Szene nicht sowieso weiter boomen?

Na ja, die Stadt entwickelt sich gut und das heißt auch, dass die Preise steigen. Aber wenn wir nicht wollen, dass Künstler, Musikproduzenten und andere in zwei, drei Jahren nach Prag und in andere Städte übersiedeln, dann sollten wir etwas tun.

Was tun Sie selbst?

Wir stehen mit Vertretern der freien Szene in einem permanenten Dialog und wollen anschließend mit den politisch Verantwortlichen über unsere Vorstellungen zur Liegenschaftspolitik sprechen – das ist der Kulturstaatssekretär, das sind die Senatoren für Finanzen, Stadtentwicklung und Wirtschaft und schließlich der Regierende Bürgermeister.

Die Regierenden können auch nicht mehr ändern, dass der Liegenschaftsfonds bereits alle Filetgrundstücke verhökert hat.

■ Am Mittwoch beschäftigt sich das Abgeordnetenhaus mit der Ausgestaltung seiner 2010 verabschiedeten Forderung nach einer neuen Liegenschaftspolitik. Diese soll nicht mehr nur fiskalische, sondern auch wirtschafts-, wohnungs- und stadtentwicklungspolitische Interessen bedienen.

■ Der Stadtentwicklungsausschuss berät den Vorschlag der Koalitionsfraktionen, dem Parlament weitreichende Entscheidungsrechte beim Umgang mit Landesgrundstücken zu geben.

■ Der Hauptausschuss diskutiert das Liegenschaftskonzept des Senats. Es sieht sowohl einen mächtigen Portfolioausschuss bei der Senatsverwaltung für Finanzen vor als auch die Analyse aller Landesgrundstücke hinsichtlich ihrer Verkaufsperspektive und die Direktvergabe einer Fläche nur im Ausnahmefall. (sepu)

Der Finanzsenator würde sagen: Die Bezirke haben noch viel, was sie nicht hergeben wollen, aber könnten. Ich würde mir ein Gremium wünschen, in dem Land und Bezirke gemeinsam klären, ob ein Grundstück verkauft werden soll oder ob wir damit etwas machen im Sinne der Stadt.

Warum sollten nicht die Bezirke selbst etwas im Sinne der Stadt machen wollen?

Weil sie selten ein Bedürfnis wirtschaftlicher Art haben werden, denn davon haben sie nichts: keine Gewerbesteuer, höchstens Ärger mit Anwohnern, die sich über Lärm beschweren.

Aber ein Musikstudio ist keine Industrieanlage: Der Produzent kann ja Kopfhörer aufsetzen.

Ja, das ist meine Hoffnung: Wenn die freie Szene in einem Bezirk bleibt, macht ihn das hip, lockt Besucher und Bewohner an, dann ist das eigentlich ein Anreiz für ihn. Aber nach wie vor sind wir zu abhängig von bezirklichem Denken. Wir bräuchten mehr Gesamtblick des Landes auf so ein Thema.