Ein Abend aufrührerischer Lieder

REVOLUTIONSTHEATER Am Oldenburger Staatstheater feiern sie den Geburtstag des Philosophen Karl Marx. Beziehungsweise feiert er ihn einfach gleich selbst, bei Flaschenbier und Korn. Dabei wird viel gesungen

Knabberlust sollen sie versprechen, die in ihrer Akkuratesse so tristen Salzstangenarrangements in den Trinkgläsern. Vor sich hin gilben Konzertplakate – Dylan, Hendrix, Cash. Fotos der Bierkrüge stemmenden Stargäste prangen neben der Theke, die stilecht geschmückt ist mit dem DLRG-Spenden-Schiffchen. Prachtvoll schäbigen Charme also verströmt diese Kneipe für Altkommunisten und Neulinke. Karl Marx (Gilbert Mieroph) verteilt darin Pils-Flaschen, hockt sich schmauchend auf einen Wackelstuhlthron – und wartet auf seine Geburtstagsgäste.

Revolutionäre Typen

Die lässt Regisseur K. D. Schmidt als Typenparade des revolutionären Bewusstseins aufmarschieren: von der zarten Vertreterin der Französischen Revolution über die oktoberrot gewandete Russin, den salutierenden SED-Polizisten bis hin zu einem Aktivisten wider die Massentierhaltung. Alle haben sie Präsente für den großen Philosophen dabei. Fürs Publikum gibt’s einen Buchtipp – und den Hinweis, dass 20 Cent von jedem in der Theatergastronomie erhältlichen „Parole“-Bieres einem sozialen Projekt zugute kommen.

Damit nun auch Partystimmung aufkommt, wurden musikalische Ständchen einstudiert: ein neu arrangiertes Best-of wohlbekannter Klassenkampfmucke – Ton-Stein-Scherben-Hits, nachdenklicher Hip-Hop-Pop, vor allem aber Klassiker aus der Zeit, als das Proletariat noch nicht Prekariat hieß und die Bourgeoisie etwas anderes war als Grünen-Wähler mit schlechtem Gewissen.

Zu „Comandante Che“ gibt Marx vor lauter Rührung eine Runde Korn aus – und garniert das mit dem Trinkspruch: „Revolution ist die ruckartige Nachholung verhinderter Entwicklung.“ Ruckzuck, weg ist der hochprozentige Schluck.

Bei Witzen hört der Spaß gleich wieder auf. „Warum war in der DDR das Klopapier so rau? Damit auch der letzte Arsch rot wird.“ Der das erzählt, wird vom Jubilar prompt erschossen. Marx empört sich, geht zum Weinen aufs Klo. Dann Pause. Anschließend bekennt sich das Ensemble zum Scheitern an den Widersprüchen zwischen moralischer Überzeugung und alltäglichem Handeln.

Reparationszahlungen

Und das künstlerische Leitungsteam zum Scheitern ihres Konzeptes: War eine „Geiselnahme mit Liedern“ angekündigt, wird ein „revolutionärer Liederabend“ gegeben. Gestrichen die Rahmenhandlung – die Geiselnahme der Kneipenhocker, damit die aus den alten Liedern mal wieder revolutionäre Taten ableiten. „Hat nicht funktioniert“, bekennt Dramaturgin Lene Grösch. Nach dem vermurksten ersten Teil wolle man „Reparationszahlungen“ leisten – in Form von „ehrlicher Unterhaltung“.

Wie dann Tocotronics „Kapitulation“ mit dem Gospel „Oh happy Day“ verschnitten wird, wie chorischen Arrangements zelebriert, Büchner und Lessing zitiert werden: eine gebildete Nummernrevue. Dank des Ensembles gelingt sie als feine Gratwanderung zwischen Ironie und Gefühl. So wird die politische Dimension des Liedguts auch als romantische vorgeführt: Spielwiese persönlicher Befindlichkeiten. Der Beatles’ „Can’t Buy Me Love“ schließlich wird zur antikapitalistischen Botschaft. Schön gemacht, ebenso beklatscht. Aber ein Abend der aufrührerischen Lieder ist eben noch kein „revolutionärer Liederabend“.  JENS FISCHER

„Marx macht mobil“, nächste Vorstellungen: 2., 12. und 14. Februar, 20 Uhr, Staatstheater Oldenburg