STATT DEM WEINEN UM DIE WETTE EINFACH MAL KINO, STREITEN, TANZEN UND KNUTSCHEN IM KUMPELNEST. STRENG IN DIESER REIHENFOLGE
: Tarantino als ein wirkliches Muss

VON LEA STREISAND

Das Elend hatte uns fest im Griff am Wochenende. Paul Zahnschmerzen, ich Kopfschmerzen. Christoph schrieb auch, er mache es nicht mehr lange. Wir haben um die Wette geweint und gewartet, ob die Nachbarn hochkommen würden, um sich wegen des Tränenwasserschadens an ihrer Wohnzimmerdecke zu beschweren. Glaubt mir, das will jetzt niemand lesen.

Lieber erzähle ich deswegen vom Wochenende davor. Das war lustig. Erst Kino, dann streiten, dann tanzen, dann knutschen. Es ist kaum zu glauben: Wir mussten zu Tarantino, Hannah Arendt war ausverkauft. Im Kino am Potsdamer Platz.

Ich dachte zuerst, die Kassenfrau wolle mich verscheißern: „Hallo“, sage ich, als wir endlich dran waren, „dreimal Hannah Arendt, bitte!“ – „Nur, wenn Sie jeder für sich alleine sitzen.“ – „Was?“ – „Der ist fast ausverkauft.“ – „Äh … Hannah Arendt? Hannah Arendt ist ausverkauft? Der Film über die Theoretikerin?“ – Nicken. – „Äh …“ – „Dann gehen wir zu Tarantino“, sagt Paul. Es sollte ein Witz sein. „Ja, ja“, sage ich. „Da sind noch Plätze frei“, sagt die Kassenfrau. „Nee“, sage ich. „Doch“, sagt sie, „zweite Reihe.“ Wir konnten sogar die Füße hochlegen. Toller Film, wirklich, und das perfekte Gegenstück zu „Vom Winde verweht“. Den hatte ich wenige Tage zuvor das erste Mal von vorne bis hinten geguckt. Rassistisch ohne Ende, keine Frage, aber mit einer weiblichen Hauptfigur, die so tough ist, wie Bette Midlers Figuren in den Achtzigern nicht waren. In „Django Unchained“ ist es quasi andersrum.

Dass wir uns richtig verstehen, ich liebe Tarantino, aber die Frauenfiguren sind jetzt nicht gerade feministisch angelegt. „Wollen wir vielleicht endlich mal tanzen?“, sagt Christoph. Bei Tarantino streiten Paul und ich uns regelmäßig. Er findet, dass ich den Begriff Sexismus zu achtlos verwende und dadurch unnötig Pulver verschieße. „Aber ‚Kill Bill‘ ist einfach total daneben!“, beharre ich. „Eine Frau, die aus einem jahrelangen Koma erwacht und dann mal eben irgendwie drei- bis fünfhundert Menschen umlegt. Und zwar deswegen, weil die Liebe einer Mutter so enorme Kräfte freisetzt, oder was?“ – „Bei Tarantino geht es immer um Liebe und Rache“, sagt Paul, „realistisch ist der nie.“ Wir sind ziemlich laut geworden mittlerweile. Die Leute gucken schon. Über verschränkte Arme hinweg starren wir uns an. „So, ihr Turteltäubchen“, sagt Christoph und rafft seine Klamotten zusammen, „es läuft Madonna, ich tanz jetzt.“

Wir sind nämlich im Kumpelnest, Christophs neuem Lieblingsladen. An der Potsdamer Straße irgendwo links rein und dann da, wo es blinkt. An der Decke kleben Peter-Pan-Plakate von Disney, die in diesem Kontext eine ziemlich anzügliche Bedeutungsebene eröffnen.

„Guck mal, die ficken!“, ruft Christoph und zeigt zur Decke. Auf der Tanzfläche von der Größe eines Küchentischs drängen sich etwa fünfzig Menschen: Junge, Alte, Homos, Heten, Transen, Hipster und Penner. Und alle haben sich unheimlich lieb. So stelle ich mir Westberlin in den Achtzigern vor. Irgendwann fällt die Anlage aus. Also die Boxen, die an den Laptop angeschlossen sind, bei dem die Playlist durchläuft, die fallen aus.

Der Stimmung tut das keinen Abbruch. Wir singen einfach selber: „Männanehmindenarm, Männa gehm Geborgenheit?“ Die Jüngsten heute Abend sind drei entzückende junge Männer und eine reizende junge Frau, die ein bisschen aussehen, als ob sie in „Prinzessinnenbad“ hätten mitspielen können. Sie haben ein erstaunliches Repertoire drauf, sogar Fettes Brot: „Essis neunznsechnneunzich, meine Freundin is weg und bräunt sich.“ Die vier haben 1996 vermutlich so bewusst erlebt wie ich das Erscheinen von Grönemeyers „Männer“. Knarzend setzen die Boxen wieder ein. Gegen halb sieben waren wir zu Hause.