Wandern: Ein Tag in den Bergen
Beim Wandern geht es eben meistens bergauf - ein Ausflug zum Wilden Kaiser und das Ableben von Martin, dem Kater
K lettern und wandern wollten sie, wie die Profis, richtig im Gebirge. Der Einfachheit halber, und zum Schutze ihrer Persönlichkeit, wollen wir die beiden M. und F. nennen.
Alpin-Wanderschuhe mussten her, und zwar die besten für 400 Euro, ein Taschenmesser, Seile und Thermoskannen, und dann ging die Fahrt auf zum Wilden Kaiser in Tirol. Der Berghof, in dem M. und F. sich einmieteten, war idyllisch auf einer Anhöhe gelegen, und weil noch Vorsaison war, gab es außer M. und F. keine anderen Gäste - so kam es, dass M. und F. auf dem großen Hof mit der Wirtin, dem alten roten Kater Martin und fünf Hühnern, die keine eigenen Namen hatten, allein waren.
Am nächsten Morgen ging es dann los. Das zunächst angestrebte Ziel war ein Gasthof, der auf halbem Wege zu einem beliebten Ausblickspunkt auf dem Gipfel eines der zahlreichen Berge lag, von denen es in Tirol nur so wimmelt. Zu Beginn des im Wanderführer als "leichter" bezeichneten Wanderweges schraubten sich M. und F. mutig ihre Rolls-Royce-Schuhe an die ungeduldig scharrenden Füße und mit einem fröhlichen "Im Frühtau zu Berge" auf den Lippen ging es den gefühlte 45 Grad steil ansteigenden Weg hinan.
Nach sieben Minuten verlieh F. japsend, schwitzend und mit zitternden Beinen ihrer Befürchtung Ausdruck, dass könne ja womöglich die ganze Zeit so bergauf gehen, zwei Stunden lang, wie es im Wanderführer veranschlagt war. M., nicht weniger japsend, bestätigte, ja, das könne tatsächlich durchaus so sein. Ob sie, schlug nun abermals F. vor, nicht lieber umkehren und etwas mit dem Auto rumfahren und sich die Gegend ansehen sollten, das würde doch sicher viel mehr Spaß machen. Damit rannte sie nun bei M. offene Türen ein, und so wurde es doch noch ein angenehmer Tag. Allerdings nur bis zum Abend, denn als M. und F. in der Dunkelheit auf dem heimatlichen Hof wieder einfuhren, da passierte es: Martin, der alte Kater, kam zur Begrüßung herbeigerannt, und weil er halt ein Trottel war, rannte er M. und F. direkt unter die Räder und war auf der Stelle tot.
Nach dem ersten Schock versicherten sich M. und F. einander, dass das nicht ihre Schuld war, dass sie Martin gar nicht hätten sehen können, dass es ein tragischer Unfall sei, den man ihnen nicht zur Last legen könne, und dass die Wirtin, die sie selbstverständlich am nächsten Morgen informieren mussten, das ganz sicher auch so sehen würde.
Am nächsten Morgen also versuchte F. das Gespräch geschickt zu eröffnen, indem sie die fünf Hühner lobte, was das doch für wunderbare Tiere seien, um dann auf Martins Ableben zu sprechen zu kommen. Doch bei der Erwähnung der Hühner brach die Wirtin plötzlich in Tränen aus. Ach, so klagte sie, früher habe es auf dem Hof so viele Tiere gegeben, Ziegen, Pferde, Kühe, aber als ihr Mann vor einigen Jahren das Zeitliche gesegnet habe, hatte sie alle verkaufen müssen, nun seien auch noch die Kinder aus dem Haus und geblieben seien ihr nur die wenigen Gäste, die Hühner und der alte Kater Martin.
M. und F. sahen sich an und wussten, dass sie spätestens in einer Stunde in ihrem Wagen sitzen würden, um die sehr lange und sehr schweigsame Fahrt ins Flachland anzutreten.
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