Demonstration der Schwäche
: KOMMENTAR VON RUDOLF BALMER

Grünes Licht für Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy: Die erweiterten Kompetenzen für die Repräsentanten der Staatsgewalt in den Départements bedeuten eine „carte blanche“ für Sarkozy, der stets als Scharfmacher auftritt. Von seinem Gutdünken hängt es nun ab, ob ein Ausgehverbot verhängt wird oder nicht. Nur Zyniker in der Opposition malen sich jetzt schon aus, dass der Innenminister für diese Verantwortung auch den Kopf hinhalten muss, falls er mit seiner harten Linie Schiffbruch erleiden sollte.

Doch für Schadenfreude ist die Entscheidung zu dramatisch: Mit der Erklärung des Notstands lässt sich die Regierung genau auf die Eskalation ein, die sie verhüten sollte. Sie will Macht demonstrieren und gesteht nur ihre Schwäche ein. Die erschreckten Bürger haben Grund zu verzagen, wenn angeblich das normale Arsenal des Rechtsstaates nicht mehr reicht. Steht Frankreich etwa am Rande eines Bürgerkriegs? Ist die Ordnung durch einige hundert oder tausend Krawallmacher so sehr gefährdet, dass der Staat um seine Existenz fürchten muss? Mit der Entscheidung, auf eine Ausnahmegesetzgebung zurückzugreifen, trägt die Regierung zur Dramatisierung bei.

Premierminister Dominique de Villepin spielt mit dem Feuer, wenn er als nächsten Schritt sogar erwägt, die Armee einzusetzen, und nur gerade zur Beruhigung anfügt: „So weit sind wir noch nicht.“ Noch nicht, aber bald? Man könnte meinen, die Regierung verfolge das Geschehen am amerikanischen Fernsehen Fox-News, das die Krawalle in der Banlieue für die Zuschauer in Übersee wie ein „Mini-Irak“ inszeniert. Villepin muss sich über überzogene Reisewarnungen bestimmter Länder dann nicht weiter wundern.

Auch ohne Dramatisierung ist die Situation ernst genug. Die materiellen Schäden sind enorm – aber noch hat die Entwicklung keinen irreversiblen Punkt erreicht. Unverhältnismäßige, aber sehr symbolträchtige Gesten oder Worte, vor allem aber die unglückselige Analogie mit dem Algerienkrieg, die mit dem Gesetz von 1955 zwangsläufig hergestellt wird, dienen nur den Extremisten, die den frustrierten Wutausbruch in einen Rassen- oder Glaubenskonflikt umwandeln möchten.