die wahrheit: Totlachen im Schlaf

Plötzlich lachten sich Menschen im Schlaf tot. Täglich wurde über neue Fälle berichtet, und es wurde deutlich, dass ausschließlich Einwohner unserer Stadt betroffen waren...

Plötzlich lachten sich Menschen im Schlaf tot. Täglich wurde über neue Fälle berichtet, und es wurde deutlich, dass ausschließlich Einwohner unserer Stadt betroffen waren. Die Stadt zu verlassen, half nichts. Einige derjenigen, die es taten, lachten sich an anderen Orten tot.

Bald wagte niemand mehr zu schlafen. Man hielt sich mit allen Mitteln wach, und so lange die Ursache der Epidemie nicht feststand, gab es sonst nichts, das man tun konnte. Eine entsprechend fieberhafte Atmosphäre breitete sich aus, die Kombination von Schlafentzug und Furcht begünstigte das Entstehen von Hysterie. Und weiterhin lachten sich Mitbürger im Schlaf tot. Was träumten sie nur? Was konnte so entsetzlich komisch sein? Wir fragten uns, wie das Träumen unterbunden werden konnte, waren aber nicht sicher, ob es traumlosen Schlaf überhaupt gab.

Leidenschaftlich verlangte das menschliche Gemüt nach einer Erklärung, Gerüchte und Spekulationen gediehen aufs abenteuerlichste. Am plausibelsten schien eine Theorie, die besagte, schuld an allem sei eine stadtbekannte, sich selbst ungeheuer komisch findende Person, die es stets verstanden hatte, allen übel auf die Nerven zu gehen. Kurz vor dem ersten Auftreten des Totlach-Phänomens war diese Person einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen und lag seither im Koma. Die beinah unaufhaltsam hysterischen Menschen zweifelten nicht daran, dass das verhasste Individuum kraft seiner gegenwärtigen Befindlichkeit in der Lage sei, in die Träume seiner Verächter einzudringen und grausam Rache zu nehmen. Deshalb wurde gefordert, jemand möge dem Quälgeist im Krankenhaus "endgültig den Hahn zudrehen".

Eines Nachts, als die Luft erfüllt war von hysterischem Gelächter, lernte ich auf einer Party drei Filmstudentinnen kennen. Eine von ihnen, eine kleine Blonde namens Gretchen, verfügte über eine einzigartige Methode, mir, der ich infolge meines Schlafdefizits in elender Verfassung war, neue Lebensenergie zuzuführen. Ich musste die Zunge herausstrecken, woraufhin sie das Gleiche tat und immer näher kam, bis sich unsere Zungenspitzen berührten. Sofort fühlte ich mich auf wunderbare Weise erfrischt und ausgeschlafen.

Mir kam der Gedanke, sie könnte es zu Reichtum bringen, wenn sie diese Dienstleistung gegen Bezahlung anböte, äußerte jedoch nichts dergleichen. Lieber bildete ich mir ein, sie täte es aus Zuneigung, und ich sei der einzige, der in den Genuss dieser Intimität kam. Es verstand sich von selbst, dass wir über die Theorie vom komatösen Traummörder sprachen. So etwas gebe es nicht, sagten die drei. Die tatsächlichen Urheber seien fremde Wesen, die auf einer Art Schutthalde hausten und zufällig in die Träume der Leute gelangten. Ihre totale Andersartigkeit führe zum Zusammenbruch aller Hirnfunktionen, was sich in unwillkürlichem Lachen äußere und schließlich zum Tod führe.

Einige Tage später erfuhren wir, dass die im Koma liegende Person tatsächlich umgebracht worden war. Ein allgemeines Aufatmen war die Folge, doch lachten sich weiterhin Menschen im Schlaf tot. "Wir haben es dir ja gesagt", lautete bei unserer nächsten Begegnung der Kommentar der Filmstudentinnen.

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kari

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