Feminismus: "Wir wollen mehr als Krippenplätze"
Die marxistische Feministin und Intellektuelle Frigga Haug ist der Linkspartei beigetreten. Ein Gespräch über die Linke, Ursula von der Leyen und das Unglück von Hausfrauen.
taz: Frau Haug, mit fast 70 Jahren treten Sie zum ersten Mal einer Partei bei. Womit hat die Linkspartei Sie überzeugt?
Frigga Haug: Seit 50 Jahren erfahre ich die Linke als untereinander zerstritten und verfeindet. Wenn es überhaupt eine Chance auf eine Kraft links von der SPD gibt, dann ist es diese. Ich mache mir keine Illusionen über die Partei, aber es gibt viele Menschen dort, die sich für Alternativen zur jetzigen Gesellschaft ernsthaft einsetzen. Auch ich wollte die Hoffnung nach dem Ende der sozialistischen Staaten nicht ganz fahren lassen. Die Linke hat eine Chance.
FRIGGA HAUG, 69, ist emeritierte Professorin für Soziologie und marxistische Feministin. Sie lebt heute in Esslingen und auf La Palma. Sie ist Mitbegründerin der Volksuni in Berlin und Mitherausgeberin der linken Theoriezeitschrift "Das Argument". Zudem ist sie Redakteurin des "Historisch-Kritischen Wörterbuchs des Feminismus". Ihre Themen sind unter anderem weibliche Vergesellschaftung, Arbeit und Automation.
Als profilierte Feministin treten Sie in eine Partei ein, die von drei Männern dominiert wird. Wo ist da die Chance für Frauen?
Ich sehe die Möglichkeit, dort etwas zu gestalten. Es gibt gute und profilierte Frauen in der Linken, die etwas wollen. Mit ihnen möchte ich zusammenarbeiten. Das mit den drei Männern muss ja nicht so bleiben. Auf dem Gründungsparteitag haben wir spontan ein Frauenplenum abgehalten und eine Arbeitskonferenz beschlossen. Dort werden wir eine frauenpolitische Plattform erarbeiten, uns Strategien für den Umgang mit der Quote überlegen.
Wo ist der Unterschied zu den Grünen? Die haben auch als feministische Partei angefangen.
Die haben ja damals auch viel erreicht und dafür gesorgt, dass alle Parteien anfingen, zu quotieren. Jetzt haben die grünen Frauen allerdings kein Projekt mehr.
Der Feminismus wandert also zur Linkspartei?
Feminismus gibt es doch fast nicht mehr. Ob diese sehr verschiedenen Frauen aus dem Osten und dem Westen zusammen ein feministisches Projekt realisieren können, ist noch offen. Aber es gibt die Lust, etwas zu tun, sich und die Gesellschaft zu verändern - anders als in anderen Parteien.
Die frauenpolitischen Eckpunkte der Linken zielen auf die ökonomische Gleichstellung: gleicher Lohn, ein Gesetz für die Wirtschaft, Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Einen solchen Ansatz haben Sie bisher kritisiert.
Ich war in dem Beirat, der die Entstehung der Eckpunkte begleitet hat. Ich fand diesen Gleichstellungsansatz viel zu eng. Feminismus will doch eine bessere Gesellschaft und nicht bloße Gleichberechtigung. Wir kamen damit nicht durch.
Das sind ja keine guten Vorzeichen. Welche Ziele hätten Sie gerne fixiert?
Ich habe für einen analytischen Vorspann plädiert. Der begründet, dass die schlechtere Position von Frauen in dieser Gesellschaft sich immer weiter reproduzieren wird, solange die Kinderfrage keine gesellschaftliche, sondern eine Privatfrage ist. Im Zweifelsfall sitzt immer wieder die Frau mit zwei Kindern auf einer Teilzeitstelle und kann sich alle anderen Träume an den Hut stecken. Wahrscheinlich lebt sie noch in Armut, weil der Mann über alle Berge ist.
Aber Kinderkrippen sind ja Vergesellschaftung - und das will heute auch schon die CDU.
Aber das ist doch nur ein Flicken. Wir wollen den ganzen Rock, um mit Brecht zu sprechen.
Und der wäre?
Wir brauchen Freiraum zur Mitgestaltung der Verhältnisse, in denen Kinder leben. Eine radikale politische Forderung wäre eine Erweiterung des Arbeitsbegriffs: Dann könnte man von einer Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf 16 Stunden sprechen: Vier Stunden in der Erwerbsarbeit, vier Stunden in der Politik, vier Stunden zum Lernen, für Kultur und Entwicklung, und vier Stunden brauchen wir für die Reproduktionsarbeit an uns, den Kindern, den Eltern.
In Bezug auf Erwerbsarbeit wäre das eine Arbeitszeitverkürzung. Hat die PDS auch schon gefordert. Mit vollem Lohnausgleich.
Diese Forderung kann nicht auf die Unterstützung der vielen Abgehängten und auch nicht der Frauen rechnen, die auf ihren Teilzeitstellen ohnehin keinen vollen Lohn erhalten.
Aber durchsetzbar ist Ihre wohl auch nicht.
Es geht ja auch zunächst darum, einen Debattenraum zu eröffnen. In diesem Raum muss auch die Frage nach einem Grundeinkommen erörtert werden.
Die frauenpolitische Sprecherin der Linken im Saarland, Christa Müller, möchte, dass daheimbleibende Mütter bezahlt werden. Lohn für Hausarbeit war doch auch mal eine feministische Forderung, oder?
Nur von wenigen. Die Mehrzahl wollte das Hausfrauendasein abschaffen. Wir wollen die Frauen nicht zu Hause einsperren, sondern engagiert in der Gesellschaft. Wir haben früher schon Hausfrauen zu politisieren versucht. Das war nicht sehr schwer, weil der Leidensdruck groß war.
Heute gibt es aber offenbar auch glückliche Hausfrauen.
Langfristig hält das niemand aus, sein menschliches Wesen in vier Wänden schadlos zu entfalten und bestenfalls noch für ein Lächeln Wohltaten zu verstreuen.
Wenn nun Ursula von der Leyen die Kinderbetreuung ausbaut, ist das doch ein Schritt in die richtige Richtung?
Von der Leyen besetzt eine Leerstelle, wo der Feminismus nicht mehr ist. Aber Feminismus ist viel mehr als Krippenplätze.
Aber diesen Feminismus gibt es doch nicht mehr, wie Sie selbst sagen. Rettet von der Leyen nicht eher noch einen Rest Feminismus?
Nein, sie entsorgt ihn durch eine passive Revolution, wie Gramsci sagen würde. Der Staat integriert Forderungen und stärkt sich, während zugleich das lebendige Feuer der Bewegung erlischt.
Die Verve der Frauenbewegung entstand ja aus einer Erfahrung des Leidens. Wenn nun diese spezifische Form des Leidens nicht mehr da ist, gibt es keine Bewegung mehr.
Die Frauenbewegung kämpfte natürlich gegen die fordistische Produktionsweise mit dem Alleinernährer und der Hausfrau. Beide sind Auslaufmodelle. So kann es keine einfache Neuauflage feministischer Politik geben. Aber es gibt neue Formen des Leidens: Wenn der männliche Ernährer wegfällt, muss die Frau Job und Kinder unter einen Hut bringen, eventuell als Alleinerziehende. Die Kinderbetreuung ist ein wichtiger Schritt, kommt aber viel zu spät und für zu wenige. Die Frage heute ist doch: Auf wessen Schultern wird die soziale Frage ausgetragen? Wer übernimmt die Reparaturarbeiten, die der neoliberale Kapitalismus schafft? Solange das die Frauen sind, ist die Frauenfrage nicht erledigt.
Auf dem feministischen Feld steht heute eher Thea Dorn, die sich nicht an Bewegungen richtet, sondern Empowerment für einzelne Frauen will.
Das ist ein reines Elitenprojekt.
Aber vielleicht ein lohnendes? Warum ist in der Linkspartei trotz Quote keine Frau in der Spitze? Thea Dorn möchte solche Leerstellen füllen - mit Empowerment.
Ja, diesen Impuls sollte man aufnehmen. Aber wofür sollen diese Frauen an die Spitze? Mit welchem Projekt? Wie soll die Gesellschaft werden? Das fehlt mir bei Thea Dorn.
Dafür erreicht sie Milieus, die für den "alten" Feminismus verloren sind.
Ja, das könnte natürlich Türen öffnen. Es ist elementar wichtig, sich mit vielfältigen Initiativen zu vernetzen. Das hat schon Rosa Luxemburg gesagt: Man muss sowohl auf Partei und Parlament setzen als auch auf die Unzufriedenen außerhalb. Jedes allein ist reaktionär.
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