Europadebatte: Schlechte Chancen für neue EU-Referenden

In Frankreich und Großbritannien wird es keine Volksentscheide über den am Wochenende beschlossenen neuen Vertrag geben. In den Niederlanden ist das Oberste Gericht gefragt.

Dänemark war 2005 gegen eine EU-Verfasssung. Über das Referendum befindet das Oberste Gericht. : dpa

PARIS/DUBLIN/BERLIN taz Zwei Jahre und einen Monat, nachdem die Franzosen die längste und intensivste Europadebatte geführt haben, die die EU je erlebte, hat die politische Elite, die damals beim Referendum unterlegen war, die EU wieder in ihre eigenen Hände genommen. Gestern bejubelte sie den abgespeckten Vertrag aus Brüssel. "Europa startet neu", freute sich Regierungschef François Fillon: "Mit Frankreich im Zentrum des europäischen Spiels." Der sozialdemokratische Exkulturminister Jack Lang spendete dem rechten Präsidenten Nicolas Sarkozy großes Lob: "Gute Arbeit geleistet." Die große Mehrheit der Franzosen hingegen, die am 29. Mai 2005 gegen die EU-Verfassung gestimmt hatte, war kaum zu hören: Die rechten und linken NeinsagerInnen im Parlament muss man mit der Lupe suchen.

Sarkozy hatte in seinem Wahlkampf, genau wie die Sozialdemokratin Ségolène Royal, versucht, das heikle Thema EU zu vermeiden. Beide waren 2005 für ein "Ja" gewesen. KeineR von beiden wollten die NeinsagerInnen provozieren. Sarkozy wollte einen Minivertrag ohne neues Referendum. Royal hatte für eine überarbeitete Verfassung mit neuem Referendum plädiert.

VerfassungskritikerInnen in Frankreich stellten am Wochenende fest, dass der neue Vertrag zwar in der Form anders ist, aber inhaltlich den Grundprinzipien der abgelehnten Verfassung treu bleibt. Jean-Luc Mélenchon, PS-Führungsmitglied und einer der wenigen prominenten Neinsager, nennt den Vertrag eine "Verletzung demokratischer Prinzipien". Marie-George Buffet, Chefin der KPF, sprich von einer "Manipulation, die keine Antwort auf die demokratischen und sozialen Erwartungen gibt, sondern das Non des Volkes auszulöschen versucht."

Für die britische Regierung ist der EU-Vertrag nicht bedeutender als die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza. Und die wurden vom Parlament ratifiziert - ohne Referendum. Also sei auch jetzt keins nötig. Noch-Premierminister Tony Blair und sein Nachfolger Gordon Brown wiesen die Forderungen der Opposition nach einem Volksentscheid gestern zurück.

Blair hat innerhalb von vier Jahren fünfmal seine Meinung geändert. 2003 lehnte er ein Referendum ab, ein Jahr später war er dafür, nach dem französischen und niederländischen "Nein" war er wieder dagegen, versprach aber im Wahlkampf 2005 ein Referendum, findet das jetzt jedoch nicht notwendig. Schließlich habe Großbritannien unter anderem Ausnahmen bei der Grundrechte-Charta und bei der Justiz durchgesetzt. Die "fünf roten Linien", die Blair als Schmerzgrenze vor dem Gipfel definiert hatte, seien nicht überschritten worden. Andererseits erklärte die Regierung, dass die wesentlichen Elemente der abgelehnten Verfassung beibehalten worden sind. Darauf stürzen sich nun die oppositionellen Tories und die EU-feindliche Presse.

Die Sun begann gestern eine Kampagne "Sieben Tage zur Rettung Britanniens", bei der die Leser anrufen und ihre Ablehnung des Brüsseler Vertrags kundtun sollen. Das Boulevardblatt droht Brown unverblümt: Er müsse sich zwischen dem Vertrag und dem Gewinn der nächsten Parlamentswahlen entscheiden. Dass sie den Wahlausgang beeinflussen kann, hat die Sun in der Vergangenheit wiederholt bewiesen. So knickt Brown vielleicht doch noch ein.

In den Niederlanden hingegen ist noch unklar, ob das Volk erneut in einem Referendum über die abgespeckte EU-Verfassung abstimmen wird. 2005 hatten die Niederländer wie die Franzosen mehrheitlich gegen den damaligen Verfassungsentwurf votiert. Die oppositionellen Sozialisten fordern jetzt ein zweites Referendum und hoffen darauf, dass sie so viel Zulauf erhalten wie bei ihrer letzten Kampagne gegen die EU-Verfassung. Die niederländische Regierung will diese Frage dem höchsten Gericht des Landes vorlegen.

Vor zwei Jahren hatte dieser "Rat des Staates" beschlossen, dass ein Referendum sein muss. Die Regierung Balkenende gibt sich jedoch optimistisch, dass sie diesmal eine Volksabstimmung gewinnen würde, falls sie erforderlich sein sollte - wurde doch auf Drängen der Niederlande beschlossen, auf eine Hymne und eine Flagge für Europa zu verzichten. DORA, RASO, UH

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