Behörden schieben Kranke ab

Abschiebebeobachter bilanzieren in diesem Jahr eine härtere Gangart gegenüber Flüchtlingen in NRW. Kranke werden zunehmend als flugfähig eingestuft, Familien vermehrt auseinander gerissen

AUS DÜSSELDORFNATALIE WIESMANN

Das Forum Flughäfen in Nordrhein-Westfalen beklagt die restriktive Abschiebepolitik des Landes. „Wir stellen Härten fest, wie sie bislang in NRW so gehäuft nicht vorkamen“, sagte gestern Jörn-Erik Gutheil, Ausländerdezernent der Evangelischen Kirche im Rheinland, bei der Jahresbilanz des Forums in Düsseldorf.

Vor fünf Jahren wurde das Gremium zur Beobachtung von Abschiebungen auf Initiative der Evangelischen Kirche gegründet. Es besteht aus VertreterInnen des Flüchtlingsrats und anderen NGOs sowie der Polizei und des Innenministeriums. „Die Zusammenarbeit läuft sehr gut“, sagt Gutheil. Doch das Forum stoße auf rechtliche Grenzen, könne nicht die steigende Zahl an inhumanen Abschiebungen verhindern.

„Ausreisepflichtige werden von den Ausländerbehörden so lange untersucht, bis letztendlich eine ärztliche Flugreisefähigkeit vorliegt“, kritisiert er. Dabei würden Gutachten von Fachärzten außer Kraft gesetzt, die den Abschiebekandidaten als nicht reisefähig einstuften. „Die Ausländerbehörden engagieren auf Abschiebung spezialisierte Ärzte, die zu ihren Gunsten entscheiden.“

Auch Uli Sextro, erster und einziger Abschiebeobachter in Deutschland und Europa, hat in seiner vierjährigen Amtszeit eine Verschärfung der Abschiebebedingungen festgestellt. „Der besondere Schutz der Familie, wie er in Artikel 6 des Grundgesetzes festgelegt wurde, gilt nicht für Flüchtlinge“, sagt er. Familien würden vermehrt auseinandergerissen – mit der Begründung, dass die Trennung „nur vorübergehender Natur“ sei. Zugenommen habe vor allem die Ausweisung von volljährigen Flüchtlingskindern, die in Deutschland aufgewachsen sind, selbst wenn die Eltern ein Bleiberecht haben, berichtet Sextro. „Den Eltern wird dann nahe gelegt, freiwillig mit auszureisen.“

Das Flughafenforum nimmt auch die Politik des Ex-Innenministers Behrens (SPD) unter Beschuss: Dieser habe ein restriktives Urteil des OVG Münster zur Leitlinie der Ausländerbehörden gemacht: Menschen mit posttraumatischen Syndrom werden als ausreisefähig eingestuft, wenn die Krankheit in ihrem Heimatland prinzipiell weiterbehandelt werden kann – im Kosovo beispielsweise seien die Ärzte aber schon jetzt überlastet.

Verantwortlich für die rigorosere Abschiebungspraxis in NRW sei aber vor allem das Zuwanderungsgesetz, das seit 2005 gilt, so Gutheil. Denn dadurch sei der Ermessensspielraum wegfallen, die es den Ausländerbehörden früher erlaubte, im Zweifel zugunsten den Flüchtling zu entscheiden. „Jetzt ist mehr als Zivilcourage gefragt, um nicht zum bloßen Vollstreckungsbeamten zu werden.

Den Entwurf für eine „Altfallregelung“, den NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) in die Innenministerkonferenz der Länder im Dezember einbringen will, geht den Experten nicht weit genug. „Bei den strengen Voraussetzungen werden nur 1.000 Geduldete in NRW ein Bleiberecht erhalten“, sagt Gutheil. Die 85.000 Verbleibenden würden aus der Regelung ausgeschlossen, „darunter viele, die schon seit Ewigkeiten hier sind.“