Beschulung: Billiglehrer für Hauptschulen
Baden-Württemberg will künftig "Pädagogische Assistenten" einsetzen. Kritiker bemängeln, dass ausgebildete Lehrer dann zu Dumpinglöhnen arbeiten sollen
BERLIN taz Noch geht Julia Schäfer jeden Tag zur Arbeit. Die 27-jährige Lehramtsanwärterin absolviert gerade ihr Referendariat an einer Pforzheimer Grund- und Hauptschule. Wenn ihr Vorbereitungsdienst aber im August abläuft, wird sie zum Arbeitsamt gehen müssen. "Die Aussicht, einen Job zu bekommen, ist mehr als gering", sagt Schäfer - und das, obwohl die baden-württembergische Landesregierung am Dienstag neue Stellen an Hauptschulen angekündigt hat.
Mit einem Maßnahmenbündel will die Landesregierung die Hauptschulen fördern. Für die Pläne sollen jährlich 26 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Damit werden 305 Stellen für Lehrer neu besetzt, die dann auf 1.200 Hauptschulen verteilt werden. Zusätzlich will Baden-Württemberg als erstes Bundesland 300 Pädagogische Assistenten einsetzen, die die Lehrer unterstützen und entlasten sollen. Für diese Aufgabe sollen arbeitslose Absolventen von Pädagogischen Hochschulen geworben werden. Dies können Lehrer oder Sozialpädagogen sein. Für diese Stellen will das Land 40 Millionen Euro an Steuergeldern bereitstellen. "Wir wollen mit einem umfassenden Maßnahmenpaket die schulische Ausbildung der HauptschülerInnen entscheidend verbessern und dadurch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen", erklärten der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) und sein Kultusminister Helmut Rau (CDU) bei der Vorstellung des Förderprogramms.
Die Einstellung der pädagogischen Assistenten stößt jedoch auf breite Ablehnung. Denn derzeit gibt es viele freie Lehrerstellen, die nicht neu besetzt werden. Lediglich 13 Prozent der Lehramtsanwärter im Grund- und Hauptschulbereich erhalten im kommenden Schuljahr eine Stelle. Kritiker fürchten, dass das Land - statt reguläre Stellen neu zu vergeben - eine Art Zweiklassensystem schafft. "Hochqualifiziertes und motiviertes Lehrpersonal soll zu Dumpinglöhnen beschäftigt werden", kritisiert Grünen-Landesvorsitzende Daniel Mouratidis. Die Hauptschulförderung sei ein "visionsloses Herumdoktern an Symptomen". Hans-Jörg Blessing vom baden-württembergischen Kultusministerium verteidigt das Vorhaben der Landesregierung. "Der Pädagogische Assistent ist keine billige Arbeitskraft. Es handelt sich um eine Tätigkeit mit einem eigenen Profil", sagte Blessing der taz.
Für Ute Vogt, Vorsitzende der SPD in Baden-Württemberg, ist es zynisch, wenn gut ausgebildete Lehrkräfte in die Arbeitslosigkeit entlassen würden und dann einige von ihnen als Billigarbeitskräfte doch noch eine Anstellung bekämen. Auch die junge Lehramtsanwärterin Julia Schäfer kritisiert die Pläne der Landesregierung: "Mir platzt der Kragen, wenn ich höre, das qualifizierte Pädagogen als Assistenten arbeiten sollen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen