Guantánamo-Klagen: Oberstes US-Gericht vollzieht Wende
Neuerliche Schlappe für Präsident Bush: Der Supreme Court will sich mit dem Einspruch von Guantánamo-Insassen gegen ihre Haft befassen.
WASHINGTON taz Das Oberste Gericht der USA hat bereits zum dritten Mal Maßnahmen der US-Administration im Antiterrorkampf für illegal erklärt. So kündigte in einer überraschenden Kehrtwende der Supreme Court am vergangenen Freitag an, sich nun doch mit den Klagen von Guantánamo-Gefangenen gegen ihre Haft befassen zu wollen. Damit hob das Gericht in einem ungewöhnlichen Schritt zum Ende der Sitzungsperiode seine eigene Entscheidung vom April auf. Damals hatten die Richter entschieden, die Klagen zweier Häftlinge nicht zuzulassen. Bush hatte erst im vergangenen Jahr ein Gesetz durch den Kongress gebracht, demzufolge die Gefangenen auf Guantánamo nicht gegen ihre unbegrenzte Haft klagen können.
Der Sinneswandel der Richterbank gilt als erneute Schlappe für Präsident George W. Bush. Das Weiße Haus gab sich in einer ersten Reaktion am Freitag überrascht. "Wir glauben nicht, dass zu diesem Zeitpunkt eine Überprüfung durch die Gerichte notwendig ist", sagte ein Sprecher. In London sagte unterdessen einer der Anwälte der Häftlinge, dass das Gericht vielleicht eingesehen habe, dass es im April einen Fehler gemacht habe. "Ich glaube, das könnte das Ende von Guantánamo als juristisches schwarzes Loch sein." Der Militäranwalt Charles Swift sprach von einer Schlüsselentscheidung. "Das ist mit ziemlicher Sicherheit die Einsicht, dass die Probleme in Guantánamo mit der Zeit nicht kleiner werden", sagte er.
Das Gericht, das erst im Oktober wieder tagen wird, gab für seine geänderte Meinung keine Gründe an. Anwälte von Guantánamo-Häftlinge hatten in der vergangenen Woche die eidesstattliche Erklärung eines Offiziers veröffentlicht, wonach Gefangene in dem Lager auf Kuba ohne stichhaltige Beweise zu sogenannten feindlichen Kämpfern erklärt würden. Die Erklärung war die erste Äußerung eines an den "Tribunalen zur Feststellung des Kämpferstatus" (CSRT) beteiligten Offiziers über die Verfahren. Die Bush-Administration ist der Auffassung, dass "feindliche Kämpfer" nicht das Recht haben, vor zivilen Gerichten auf dem US-Festland zu klagen.
Im Februar hatte ein Berufungsgericht in Washington entsprechend entschieden, dass Guantánamo-Häftlinge ihre Inhaftierung nicht anfechten können und dass Zivilgerichte nicht über die Rechtmäßigkeit der Militärhaft befinden können. Die Entscheidung stützte das Ende 2006 in Kraft getretene Gesetz Bushs zum Umgang mit Terrorverdächtigen.
Die USA haben zwar bis heute bereits über 150 Häftlinge aus ihrem kubanischen Militärgefängnis an die Behörden der entsprechenden Heimatländer zurückgegeben, dennoch sitzen auf Guantánamo noch immer 375 Menschen zum Teil seit mehr als fünf Jahren fest - und viele davon ohne Anklage. Die amerikanische Regierung betont stets, das Lager sei notwendig zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit langem die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien in Guantánamo. Auch demokratische US-Politiker wie die Präsidentin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, betonen immer wieder, zuletzt am vergangenen Freitag, dass Guantánamo geschlossen werden müsse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!