„Romane mit Anhang“

VORTRAG Wie Gegenwartsliteratur mit dem Holocaust-Thema umgeht, erklärt Axel Dunker

■ 51, ist Professor für Neuere und Neueste deutsche Literatur sowie Literaturtheorie an der Uni Bremen und Leiter des Instituts für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien.

taz: Herr Dunker, der Auschwitz-Überlebende Elie Wiesel hat Holocaust-Literatur für etwas Unmögliches gehalten: Wieso existiert sie trotzdem?

Axel Dunker: Wiesel hat gesagt, dass es einen Roman über Auschwitz nicht geben könne: Ein solcher Text wäre entweder nicht über Auschwitz, oder er wäre kein Roman. Allerdings hat es fast ebenso früh die Gegenposition gegeben, etwa bei Jorge Semprún, dass es künstlerischer Strategien bedürfe, um den Holocaust zu verarbeiten.

Die Holocaust-Literatur der ersten Generation lebt dabei aber von dem Konzept der Zeugenschaft …

Das ist richtig. Und diese Zeitzeugen-Literatur wird es nicht mehr geben.

Die Gegenwart reagiert darauf mit Fiktionalisierung. Ist das problematisch?

Problematisch wäre es dann, wenn man Fiktion gegen Authentizität ausspielt. Das muss aber nicht der Fall sein. Ein Roman kann gleichsam Authentizität schaffen.

Wie das?

Beispielsweise im Bezug auf Quellen: Ursula Krechel etwa oder auch Katharina Hacker statten ihre Romane mit Anhang aus, der die Dokumente aufführt, aus denen sich die Erzählung speist.

Das scheint eine besondere Anforderung an gegenwärtige Holocaust-Literatur zu benennen?

Wenn man so will, ja: Die Literatur, die heute entsteht, folgt, bildlich gesprochen, auf ein ganzes „Holocaust-Archiv“ – auf eine unübersehbare Fülle von Texten zum Thema. Darauf muss sie reagieren.  INTERVIEW: BES

Vortrag: Fiktionalisierung des Holocaust? Der Holocaust in der Gegenwartsliteratur. Haus der Wissenschaft, 20 Uhr