Faustkampf: Provokative Lethargie
Schwergewichtler Wladimir Klitschko tritt bei seinem WM-Kampf gegen den Phlegmatiker Lamon Brewster an - einen Schläger, der ihn schon böse erwischt hat.
KÖLN taz Was geht nur hinter diesen dunklen Gläsern vor, und welchem Zweck dienen sie vornehmlich? Seit seiner Ankunft vor einer Woche hat man den Berufsboxer Lamon Brewster in Köln bisher kaum einmal ohne Sonnenbrille gesichtet. Zusammen mit einem wuchernden Vollbart und der schwarzen Mütze nach Art eines Asphaltpiraten scheint das mächtige Gestell die erste Verteidigungslinie zu schließen, hinter der sich der 34-jährige Schwergewichtler in diesen Tagen verschanzt. Ein beinahe lückenloser Auftritt, denn sowohl bei der Pressekonferenz vor seinem 37. Kampf, der ihn am Samstag mit dem IBF-Champion Wladimir Klitschko zusammenführt, als auch im Einzelgespräch behielt Mr. Brewster das auffällige Utensil stets auf der Nase.
Mancher Beobachter mag sich angesichts dieser Pose an die Coolness von Rap-Musikanten und selbsternannten Gangstas aus den ungemütlicheren Vierteln des urbanen Amerika erinnert fühlen. Im Grunde aber gilt der frühere Titelträger der WBO spätestens nach seiner erfolgreichen Titelverteidigung gegen Luan Krasniqi vor 22 Monaten in Hamburg auch deutschen Medienvertretern als offener Charakter. Etwas hat sich inzwischen jedoch verändert, denn während Brewster in Hamburg noch von seiner wechselhaften Jugend auf den Straßen von Indianapolis und engen Familienbanden erzählte, fasst er sich im Rheinland knapp. Beim Pressetermin am Montag schreckte ihn eine Frage gar aus dem Sekundenschlaf, worauf er um Verständnis bat: "Im in my own world."
Die Welt des Lamon Brewster wird derzeit vor größeren Einsichten geschützt, und unverbesserliche Optimisten dürfen auch das für ein gutes Zeichen halten. Vielleicht verbirgt sich hinter der fast provokativen Lethargie des Herausforderers ja taktisches Kalkül - eine athletische Explosion, die jene Ruhe vor dem Sturm in der Nacht auf den Sonntag beendet. Das wäre jedenfalls der brisante Lauf der Dinge, den sich der übertragende Sender RTL für den aufwändig inszenierten Faustkampf-Gipfel wünscht. Und das ist auch die Version, mit der die Betreuer von Brewster skeptische Anfragen in Bezug auf die Verfassung ihres Schützlings kontern. Wartet nur bis Samstag, heißt es aus dieser Ecke sinngemäß, dann werdet ihr schon sehen. Es ist schwer vorstellbar, wie der teilnahmslose Mann mit den hängenden Schultern sich quasi über Nacht in den gefürchteten Puncher verwandeln soll, der 29 seiner 33 Opfer (3 Niederlagen) vorzeitig demoliert hat. So wie im April 2004, als er Wladimir Klitschko in Las Vegas zum ersten Mal begegnete: ein klarer Außenseiter, der nach 4 Runden schon besiegt schien, um sich dann zum fulminanten Abbruchsieg in Runde 5 aufzurappeln. Damals wurde der in Los Angeles trainierte US-Profi zum Überraschungs-Weltmeister, während Klitschko nur die Rolle des schlechten Verlierers blieb. Ein ganzes Bündel unbewiesener Verschwörungstheorien sollte damals sein Scheitern erklären.
Inzwischen sind dem eindrucksvoll zurückgekehrten Champion aus Kiew jene konspirativen Geister, die er beschworen hat, eher peinlich. "Mit der Vergangenheit beschäftige ich mich nicht", blockte er zuletzt etwaige Nachfragen ab und referierte lieber über den "Riesenspaß, in diesem Sport zu sein". Seit seinem Sieg über den IBF-Titelträger Chris Byrd vor gut zwei Jahren hat sich der heute 31-Jährige als die dominante Figur in einer Klasse von begrenzter Qualität etabliert. Und seine Publikumswirkung wurde auch in Köln wieder zweifelsfrei nachgewiesen. Von den 19.000 Plätzen in der Riesenarena sind nur noch einige hundert vakant.
Den Makel der Blamage von Las Vegas kann der Modellathlet jedoch nur durch diesen zweiten Kampf korrigieren. Deshalb muss "Die Nacht der Wahrheit", so das TV-Motto, unbedingt über die Bühne gehen. Eine erfolgreiche Revanche gegen den einst gefürchteten Schläger kann die sportlichen und mentalen Fortschritte des Titelverteidigers eindrucksvoller als jeder andere Vergleich demonstrieren. "Dieser Kampf bedeutet alles für ihn", ist sein renommierter Trainer Emanuel Steward überzeugt, der Klitschko in Österreich zu Bestform geführt hat. Mehr als sieben Runden, prophezeit Steward, sollte das Treiben im Ring nicht währen. Es könnte jedoch noch schneller zu Ende sein, denn der Mann hinter den dunklen Gläsern bringt neben seinem guten Namen auch einige Probleme mit. Brewster ist nach seinem Titelverlust im April 2006 inaktiv geblieben, nicht zuletzt wegen eines Augenleidens, das operativ behandelt wurde. Seither haben sich die global operierenden Promoter nicht eben um ihn gerissen, obwohl sein Vertragsverhältnis mit Don King beendet ist.
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