Häftlingstod: "Am Anfang war das nur Spaß"

Am Mittwoch begann in Bonn der Prozess zu den Folterqualen und dem Tod eines Häftlings im Siegburger Gefängnis.

Schild der Justizvollzugsanstalt Siegburg Bild: dpa

BONN taz Es ist kurz vor der Mittagspause. Fast zwei Stunden hat Dany K. nun bereits ausführlich Auskunft gegeben über jene Vorgänge am 11. November 2006 in der Justizvollzugsanstalt Siegburg, die mit dem Tod seines Mitgefangenen Hermann H. endeten. Seine Vernehmung steht kurz vor dem Abschluss, da fragt der Nebenklageanwalt, der die Mutter des Verstorbenen vertritt: "Was der Begriff Martyrium bedeutet, wissen Sie das?" Dany K. schaut ihn verduzt an: "Nein." Niemand im Saal 0.11 des Bonner Landgerichts hegt einen Zweifel an seiner Antwort.

Was bringt einen Jugendlichen und zwei Heranwachsende dazu, einen anderen Menschen rund zehn Stunden lang zu foltern, zu vergewaltigen und dann hinzurichten? Das ist die Frage, die seit gestern die Richter der 8. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn aufklären müssen. Wer Dany K., Pascal I. und Ralf A. im Gerichtssaal sieht, kann sich nicht vorstellen, zu welcher Brutalität diese "Jüngelchen" offenkundig in der Lage sind.

Nein, sie hatten keinen Streit mit ihrem Opfer. "Der Hermann war ziemlich ruhig, hat nie etwas gesagt", berichtet Dany K. Gewöhnlich habe der 20-Jährige nicht einmal mit Karten spielen wollen. An jenem Tag ließ sich Hermann H. dazu überreden. Also spielten die vier gemeinsam "Fingerkloppen". Jeder habe mal verloren, jedem sei deswegen mit den Karten auf die Finger gehauen worden. Nichts Besonderes also. Hermann H. verlor als Letzter vor dem Mittagessen. Sollte seine "Strafe" deswegen erst danach bekommen. Was dann folgte, das kann Dany K. zwar beschreiben, jedoch nicht erklären.

"Am Anfang war das für uns nur Spaß", sagt der 17-Jährige mit leiser Stimme. Der Anfang, das waren Schläge und Tritte. Stunde um Stunde malträtierten sie von da an mit immer neuen "Ideen" ihren Zellengenossen. Wenn einer hätte aufhören wollen, wären die jeweils anderen dafür gewesen, weiter zu machen, so Dany K. Und irgendwann machte er den Vorschlag, Hermann H. "wegzuhängen". Auch dies sei zunächst nur ein "Spaß" gewesen. Im Laufe der Zeit sei die Beratung dann ernster geworden. Nach intensiver Abwägung aller Vor- und Nachteile - Dany K. führte schriftlich Liste - und nach dem Schauen der Sportschau entschieden sie sich dann zur Erhängung von Hermann K. Erst mit einem Antennenkabel, dann mit dem Kabel eines Tauchsieders, dann einem vom Fernseher und schließlich dem Kabel des Kassettenrekorders. Alle rissen. Mit Bettlakenstreifen klappte es beim fünften Mal. Er starb laut Obduktionsbefund kurz nach 23 Uhr.

Im Gegensatz zu Hermann H., der sechs Monate hätte absitzen sollen, waren die drei 17, 19 und 21 Jahre alten Angeklagten jeweils zu mehrjährigen Jugendhaftstrafen verurteilt. Wie auch ihr Opfer kommen allesamt aus kaputten Elternhäusern, haben Heimkarrieren hinter sich und Probleme mit Drogen. Vielleicht hatte Hermann H. einfach nur Pech. Er könnte das Opfer einer unbändigen Wut der Angeklagten geworden sein. Nicht Wut über ihn, sondern über die Verhältnisse, in denen sie lebten und denen sie sich insbesondere in der Siegburger Haftanstalt ausgesetzt sahen. Es ist ein kurzer Ausbruch von Dany K., der dafür spricht. Sie seien alle Opfer, sagt er dem Nebenklageanwalt, schließlich seien sie alle zuvor auch schon im Gefängnis abgezogen worden.

Am kommenden Dienstag wird der Prozess fortgesetzt. Landesjustizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter hat bereits kurz nach der Tat die Anstaltsleitung ausgewechselt. Außerdem hat sie die Unterbringung von mehr als zwei einsitzenden Jugendlichen in einer Zelle landesweit untersagt. PASCAL BEUCKER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.