Das zweitbeste Leben

Wer hat Angst vor dem gelockerten Kündigungsschutz? Die Realität hat die ideologische Debatte längst überholt. Denn um gekündigt werden zu können, braucht man erst mal einen festen Job

VON SUSANNE LANG

Endlich materialisieren sich die Anlässe für das große „Heulen und Zähneklappern“, das Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) zu Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Union versprochen hatte – die Steuern werden erhöht. Gefolgt von einer Maßnahme, die seit gestern nach langen Debatten festgezurrt ist: Der Kündigungsschutz wird – nein, nicht aufgehoben, aber, oh ja – gelockert. Von nun an wird er bei neu eingestellten ArbeitnehmerInnen nach einer Probezeit erst nach 24 Monaten greifen. Wer ist es, der nun heult? Wessen Zähne klappern?

Es werden nicht sehr viele sein. Denn zunächst betreffen Regelungen für Neuanstellungen ja vor allem Berufseinsteiger, die sich mittlerweile an ganz andere Rahmenbedingungen gewöhnt haben: Festanstellung? Wenn ja, dann sowieso nur in Form von befristeten Verträgen, die vor allem eines absichern: dass sich der Beschäftigte nach der Frist auf keinen Fall einklagen kann. Ebenso wenig werden sich bisher Arbeitslose beklagen, die zumindest eine Chance auf eine Probezeit bekommen. So weit, so wenig neoliberal gedacht. Denn die Realität hat in diesem Feld des Arbeitsmarktes die Ideologie – bedauerlicherweise – längst überholt.

Während ein Roland Koch also vergeblich auf Klappern und Heulen warten darf, verändert sich jedoch mit jeder noch so winzigen Änderung oder Ankündigung eines Reförmchens die Stimmung in einem Milieu, das immer noch konstituierend ist für die bundesrepublikanische Gesellschaft. Es ist jene zuletzt so oft umsorgt beäugte Mittelschicht, die sich insbesondere durch die jüngsten Änderungen immer mehr in Verlustängsten verliert. Es sind jene ArbeitnehmerInnen – zu jung für die Rente, zu alt fürs Jobnomadentum –, die es sich in einem BRD-Leben mit Garantie auf einen planbaren Lebensentwurf mit lebenslangem Job als erste Prämisse nicht nur gemütlich eingerichtet haben, sondern sich darüber identifizieren. Wird plötzlich am Entwurfgerüst geschraubt, wackelt zwar die Statik noch nicht, aber man wagt schon mal den Blick nach unten, falls das Gerüst einstürzen sollte.

Artikuliert wird diese Angst in jenem prinzipiellen Unbehagen, das mittlerweile den Ton bestimmt. Unbehagen am Kapitalismus (der in Deutschland zum Glück aber doch versagt), an der neoliberalen Politik, die soziale Nestwärme mit ökonomischer Kälte bekämpfen will (aber hier zum Glück abgewählt wird). Am Staat (der sich zu allem Unglück trotzdem zurückzieht). Ein Unbehagen letztlich doch am eigenen Lebensziel: Materiell abgesichert soll ein hart erarbeitetes, schönes Leben im Ruhestand genossen werden dürfen, man hat es sich verdient. Ein Leben, wie es der aktuelle Werbespot der DWS-Versicherungen so schön illustriert: Man will doch nicht das zweitbeste Steak, man gibt sich doch nicht mit dem zweitbesten Fisch zufrieden – Altersvorsorge war doch schließlich erste Wahl, neben Kindern repräsentiert sie doch erfolgreich gelebtes bundesdeutsches Nachkriegsbürgertum. Mit gesellschaftlicher, ja gar linker Solidarität mit Schwächeren, vom Arbeitsmarkt wirklich Ausgegrenzten hat dies nur wenig zu tun.

Man wollte ja nie mehr als in der Mitte ankommen, selbst diejenigen, die einst gegen die betonierte Mitte rebelliert hatten. Auch beim artikulierten Anspruch auf einen festen, unkündbaren Job geht es um gesellschaftliche Anschlussfähigkeit, die in materiellen Werten („mein Haus“, „mein Auto“) symbolisch praktiziert wird.

Jenes Unbehagen gründet sich eben nicht auf die reale Gefahr, sozial abzusteigen – das zweitbeste Steak beinhaltet schließlich immer noch den Besuch im Luxusrestaurant. Die Angst besteht vielmehr darin, nicht mehr an einem Diskursfeld partizipieren zu können – ein Umstand, den der französische Soziologe Pierre Bourdieu unter anderem als sozialen Ursprung von Machtlosigkeit beschreibt. Die Mittelschicht fürchtet um ihre eigene kulturelle Deutungsfähigkeit. Im Ringen darum, so hat es jüngst Alexander von Schönburg in seinem Bestseller „Die Kunst des stilvollen Verarmens“ stilhübsch vorexerziert, steht nicht so sehr die materielle Existenz auf dem Spiel, sondern die Performance. Die Codes und Symbole, die einen der Mittelschicht zugehörig machen, müssen weiter kultiviert werden und kultivierbar bleiben – was mit weniger Geld zwar schwieriger, aber nicht unmöglich ist. Eine Frage des Stils eben.

Zumindest die unmittelbar folgende Kindergeneration wird das nicht beunruhigen: Auf sie wartet schließlich das finanzielle Privaterbe aus der Mittelwohlstandszeit. Erst danach wird wirklich verhandelt.