Koalition: Neue Diskussion um Mindestlohn

Kaum sind die Kabinettsmitglieder zurück aus dem Urlaub, geht die Debatte um den Mindestlohn in die nächste Runde. Nun ist auch ein CDU-Ministerpräsident dafür.

Sinneswandel im Urlaub: Wolfgang Böhmer. Bild: dpa

Die große Koalition ist in den politischen Alltag zurückgekehrt: Sie streitet, und zwar wieder einmal über die Einführung von Mindestlöhnen. Der Streit geht genau da weiter, wo er vor der Sommerpause aufgehört hatte: Die SPD fordert einen gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn, auch "Lohnuntergrenze" genannt. Ihr Koalitionspartner in der CDU setzt alles daran, dies zu verhindern.

Wer geglaubt hat, das Thema habe sich mit dem Streit und den Minimalkompromissen im letzten Koalitionsausschuss Mitte Juni erledigt, hat nicht mit der Hartnäckigkeit von SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering gerechnet. Kaum dachte Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) vor ein paar Tagen laut über mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger nach, konterte SPD-Minister Müntefering mit seiner Lieblingsforderung: Ein Mindestlohn für alle müsse her.

Vizekanzler Müntefering argumentiert, der Staat müsse immer mehr Hilfe für Beschäftigte aufbringen, die zwar Vollzeit arbeiten, deren Lohn aber nicht zum Leben ausreiche - die sogenannten "Aufstocker". Im gesamten Land sind das 1,3 Millionen Menschen - 500.000 mehr als vor zwei Jahren. Die Hälfte von ihnen hat eine sozialversicherungspflichtige Arbeit, die anderen verdienen ihr Geld mit Midi- oder Minijobs. Mindestlöhne würden daher die öffentlichen Kassen entlasten, rechnet Müntefering vor.

Das sieht Wolfgang Böhmer, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, ebenso. Er stellte sich am Dienstag hinter Müntefering. Es sei sinnvoll, mit der Einführung von Mindestlöhnen Geld für höhere Hartz-IV-Sätze freizumachen. Der Zusammenhang von Mindestlohn und Hartz-IV "ist naheliegend", sagte Böhmer gestern. Die SPD dürfe aber eine Verknüpfung der beiden Themen "nicht erzwingen".

Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Mindestlohn und Hartz IV: Die beiden Themen hätten nichts miteinander zu tun. Sie begrüße es aber, dass Müntefering bis zum Herbst einen Bericht vorlegen will, der sich mit Hartz-IV-Leistungen und Preissteigerungen befasst.

Während die Mindestlohn-Wünsche der SPD in dieser Legislaturperiode wohl nicht mehr wahr werden, hat die Forderung nach angepassten Hartz-IV-Sätzen bessere Chancen.

SPD-Chef Kurt Beck ärgerte sich jedoch gestern über den Vorstoß von Althaus: "Was die Union da macht, kann ich nicht mehr nachvollziehen." Die Union habe mit seiner Partei sehr hart verhandelt, mit dem Ziel, die Hartz-IV-Leistungen von aktuell 347 Euro im Monat zu senken. "Jetzt kommt Herr Althaus und will sie hochsetzen."

Die Grünen fordern schon länger Regelsätze zwischen 390 und 420 Euro. Sie stützen sich dabei auf Berechnungen der Wohlfahrtsverbände. Nach denen ist die derzeit gültige Höhe von 347 Euro monatlich nicht ausreichend. Für das Fahren mit Bus und Bahn stehen dem Hartz-IV-Empfänger monatlich 26,07 Euro zu. In Berlin etwa reicht das gerade einmal für sechs Hin- und Rückfahrten mit S- oder U-Bahn. "Wenn man damit regelmäßig zu Bewerbungsgesprächen fahren soll, ist das zu wenig", kritisiert der Grünen-Sozialexperte Markus Kurth.

Bisher wird der Regelsatz nicht der Inflationsrate angepasst, wie dies Althaus nun gefordert hat. Vielmehr befragt das Statistische Bundesamt alle fünf Jahre 75.000 Haushalte aus dem untersten Einkommensfünftel nach ihren Ausgaben. Gerade bei diesen Geringverdienern sind die Realeinkommen in letzter Zeit aber eher gesunken. "Die Einkommensverteilung hat sich zulasten des untersten Segments verschoben", kritisiert die Wirtschaftsforscherin Irene Becker von der Universität Frankfurt. Die Sozialverbände warnen davor, dass Armut auf diese Weise verfestigt werde.

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