Kommentar: Die Stunde der Zauderer

Die Regierungsklausur auf Schloss Meseberg ist eine Chance: Klimapolitisch könnte die große Koalition Geschichte schreiben.

Sigmar Gabriel denkt das Thema ganz groß: Die Umsetzung der Klimaschutzziele bedeute nichts weniger als den grundlegenden Umbau der Industriegesellschaft, sagt der Umweltminister. Auf der heute beginnenden Regierungsklausur auf Schloss Meseberg wird er einen Umbauplan für die Industriegesellschaft Deutschland vorlegen - mit Biogas, Energieeffizienz, Emissionsgrenzen und einem Erneuerbare-Wärme-Gesetz.

Gabriel meint: Wenn China zur Werkbank der Welt wird, Russland zur Zapfsäule und Indien zum globalen Dienstleister, dann müssen sich auch Europa und Deutschland in der neuen Arbeitsteilung positionieren. So bekommt sein Plan eine weltgewichtige Dimension. Im Dezember nämlich muss auf der UN-Weltklimakonferenz in Bali ein neues internationales Klimaschutz-Regime gefunden werden. Die Schwellen- und Entwicklungsländer haben den Industrienationen schon klargemacht, dass sie zu eigenen Bemühungen nur dann bereit sind, wenn der Westen ihnen geeignete Wege aufzeigt. Mit gutem Grund: 80 Prozent des Klimakillers Kohlendioxid in der Atmosphäre stammen aus den Schloten des reichen Nordens. Also ist er auch gefordert.

Insofern ist das kleinliche Gefeilsche um Tempolimit, Dienstwagenprivileg oder ein Verbot von Stromfressern wie den Nachtspeicheröfen zwar normale Tagespolitik. Dass die Finanz-, Wirtschafts- oder Verkehrsminister aber Gabriels Umbauplan zu zerpflücken suchen, raubt der schwarz-roten Koalition die Chance, klimapolitisch einen Meilenstein zu setzen, der in einigen Jahren als "historisch" bezeichnet werden kann.

Ohnehin reichen nach einer seriösen Studie die von Gabriel erdachten Instrumente bei weitem nicht aus, um das deutsche Klimaziel - minus 40 Prozent CO2-Ausstoß im Jahr 2020 gegenüber 1990 - zu erreichen. Und schon heute ist klar, dass die Welt ohne ein Tempolimit, ohne ein Verbot von Stromfressern nicht zu retten ist. Statt zu zerpflücken, sollten die Zauderer Steinbrück, Tiefensee und Glos lieber ambitioniert Gabriels Umbauplan weiter verschärfen. Schließlich gibt es für Politiker nicht sehr häufig die Gelegenheit, Historie zu schreiben.

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Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.

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