Kommentar: Szenarien des Scheiterns

Noch präsentiert sich die US-Armee im Irak als Allheilmittel gegen den Bürgerkrieg. Dabei sind sie doch selbst Teil des Problems. Ihr Abzug bietet die einzige Chance auf eine Befriedung.

Die Amerikaner sind im Irak gescheitert: Daran ändern auch die kleinen politischen Erfolgsmeldungen wenig wie jetzt jene aus aus Bagdad, dass sich die Spitzenpolitiker der Schiiten, Sunniten und Kurden doch noch auf erste Schritte zur nationalen Aussöhnung geeinigt hätten. Denn sowohl die sunnitischen Parteien als auch die Vertreter der schiitischen Sadr-Bewegung verweigern der Regierung weiterhin ihre Gefolgschaft. Diese kann inzwischen nicht einmal auf dem Papier als eine Regierung der nationalen Einheit durchgehen.

Amerika steht unter Druck und gibt diesen an den irakischen Premier weiter. Mitte nächsten Monats steht der Lagebericht des US-Oberbefehlshabers General David Petraeus an den Kongress an, der über die zukünftige Irak-Strategie entscheiden soll. Immer unverhohlener kritisiert US-Präsident George Bush al-Maliki. Noch geht er aber nicht so weit wie der demokratische Senator Carl Levin, der den Rücktritt des irakischen Premiers fordert. Doch es gibt derzeit kein anderes Pferd, auf das Washington setzen könnte. Da helfen auch die Gerüchte wenig, die in Bagdad in Umlauf sind, nach denen Washington eine Militärjunta plane. Denn auch mit eiserner Faust dürfte sich keine Einigung durchsetzen lassen, zumal Polizei und Militär längst Parteien des Bürgerkriegs geworden sind.

Die Verstärkung der US-Truppen um 30.000 Mann hat zwar kurzfristig die Sicherheitslage in Bagdad verbessert und die Opferzahlen auf den Stand des letzten Sommers gesenkt. Dafür fallen dem Bürgerkrieg nun in anderen Teilen des Landes mehr Menschen zum Opfer. Die Truppenverstärkung sollte den Weg für eine politische Lösung bereiten, die sich allerdings nirgendwo abzeichnet.

"Erobern, halten und wiederaufbauen", lautet die neue US-Strategie. Gleiches haben die britischen Truppen zuvor in der südirakischen Stadt Basra versucht - und sind gnadenlos gescheitert. Ihre "Operation Sindbad" erwies sich alles andere als märchenhaft: Zwischen September 2006 und März dieses Jahres wollten die Briten den Einfluss der schiitischen Milizen eindämmen und die Verantwortung an irakische Sicherheitskräfte übergeben, damit der Wiederaufbau beginnen kann.

Doch die Briten haben im Süden auch nicht geschafft, woran die Amerikaner in der Hauptstadt und anderen Teilen des Landes gescheitert sind: den Aufbau eines legitimen und funktionierenden irakischen Apparates, der das Gesetz durchsetzen, für einen friedlichen Übergang und die gerechte Verteilung des Ölreichtums sorgen kann. Jetzt bereiten die Briten ihren endgültigen Rückzug vor.

Erst am Wochenende zogen sie sich aus der zentralen Polizeistation in Basra zurück, offiziell wurde sie an die irakische Polizei übergeben. Tatsächlich übernahmen dort wenige Stunden später die schiitischen Milizen Muktada al-Sadrs das Kommando. Droht ein ähnliches Szenario nach einem US-Abzug? Dass die USA ihre arabischen Bündnispartner gerade milliardenschwer für einen Konflikt mit dem Iran aufrüsten, kann als Indiz dafür gelten, dass die USA den Irak bereits aufgegeben haben und die Konfliktlinien nun weiter ziehen.

Noch aber präsentieren sich die US-Truppen im Irak als Allheilmittel gegen einen irakischen Bürgerkrieg, den sie aber ganz offensichtlich auch durch ihre Präsenz nicht verhindern können. Dies ist auch schwerlich möglich, bilden sie doch die Ursache für den heutigen Konflikt im Irak. Die USA stehen deshalb vor einem großen Dilemma: Ihr Abzug würde die Lage im Irak zunächst zweifellos noch chaotischer gestalten. Bleiben sie aber im Land, wird das heutige Chaos aber noch für eine ganze Ewigkeit fortgeschrieben.

Für eine Begrenzung des Schadens nach einem Abzug der US-Armee können und müssen nur die Iraker selbst und ihre regionalen Nachbarstaaten sorgen. Beide müssten dann zur Verantwortung gezogen werden. Doch solange Syrien und der Iran das Gefühl haben, als Nächstes auf der US-Abschussliste zu stehen, werden sie im Irak keinen Finger krümmen - bestenfalls. Eigentlich stünde es ja im ureigensten Interesse Syriens und des Iran, sich mit Saudi-Arabien und der Türkei zusammenzusetzen, um der Lage in ihrem Nachbarland Herr zu werden. Doch die neue US-Strategie, die "guten" gegen die "bösen" Regimes in der Region aufzurüsten, kann sich vor diesem Hintergrund noch verheerend auswirken.

Die Lage ist also paradox: Ein Abzug der USA birgt die Gefahr einer Ausweitung des Krieges. Gleichzeitig bietet er aber auch die einzige Chance auf eine Befriedung des Irak.

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Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

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