Merkel-Besuch: China erleichtert über fehlende Vorwürfe

Chinas Führung betont, dass Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem zweiten Besuch keine nennenswerte Kritik erhoben hat.

Man kennt sich inzwischen: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao Bild: dpa

Sein dichter Haarschopf hebt ihn unter den chinesischen Diplomaten hervor. Langsam, mit müdem Schritt, durchschreitet Ma Camrong am Montagmorgen die langen Flure der Halle des Volkes in Peking. Ma, chinesischer Botschafter in Deutschland, hat gerade als einer der Letzten den Sitzungssaal mit dem Monumentalgemälde der Großen Mauer verlassen, in dem Kanzlerin Angela Merkel und ihr chinesischer Amtskollege Wen Jiabao zuvor eine Stunde lang konferierten.

Ma Camrong hat schwere Tage hinter sich. Am Freitag demonstrierten Anhänger der Menschenrechtsorganisation amnesty international vor seiner Botschaft in Berlin. Er wies sie zurück. Am Samstag berichtete der Spiegel über angebliche chinesische Computerspionage in Deutschland. Er ließ dementieren. Dabei wusste Ma: Deutschland war in Aufregung über den China-Besuch der Kanzlerin, die deutsche Stimmung gegenüber Peking gereizter denn je. Was der Botschafter nicht wusste: Wie würde Angela Merkel bei ihrem zweiten China-Besuch reagieren? Doch Ma ist sichtlich erleichtert. "Die Gespräche sind wirklich konstruktiv gelaufen", versichert er gegenüber der taz, "und zwar ohne Vorwürfe." Er betont es noch einmal: "Ohne Vorwürfe!"

Angela Merkel hatte sich China gegenüber bisher reserviert verhalten. Sie hatte in einer ihrer ersten außenpolitischen Reden als Kanzlerin gesagt, China sei ein Land, das sich an keine Regel halte. Sie hatte diesen Befund bei ihrem ersten Peking-Besuch vor einem Jahr mit Inhalten gefüllt und starkes Gewicht auf die Kritik der Menschenrechtssituation und des mangelnden Schutzes von geistigem Eigentum in China gelegt. "Die gegenseitige Wahrnehmung ist unter Merkel immer realistischer geworden", umschrieb Guo Yezhou, der außenpolitische Sprecher der Zentralkomitees der KP, im taz-Gespräch zum Kanzlerbesuch die knifflige bilaterale Lage.

Und doch ist die Stimmung in der Halle des Großen Volkes am Montag wie ausgewechselt im Vergleich zum letzten Besuch der Kanzlerin. Der Ton ist verständnisvoller geworden. Man geht nun auf die Argumente des anderen ein. Und erkennbar ist: Man kennt sich inzwischen. Das bedeutet: Die Chinesen haben sich umgestellt, aber auch die Deutschen. Chinas Premier Wen Jiabao formulierte das gestern so: "In letzter Zeit gab es in den Medien viele Kommentare, dass sich die chinesisch-deutschen Beziehungen seit dem Amtsantritt von Bundeskanzlerin Merkel geändert haben. Das möchte ich offen bestätigen, aber hinzufügen, dass die Änderungen uns vorwärts bringen, und nicht weiter rückwärts."

Merkel bestätigte das. Diesmal wollte sie China nicht kritisieren, sondern einbinden. "Wir können uns in einer zusammenwachsenden Welt nur vernünftig weiterentwickeln, wenn wir gemeinsame Spielregeln einhalten", sagte Merkel. Zum Beispiel beim geistige Eigentum: "Der rechtlichen Grundlage, die China sehr verbessert hat, muss jetzt die praktische Umsetzung folgen. Dafür sind unsere Gespräche eine gute Grundlage." Oder in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit: "Zu den Spielregeln gehört auch, dass die Industrieländer China die neuesten Technologien zur Verfügung stellen. Jedes Land auf der Welt muss die gleiche Chance für Entwicklung bekommen", sagte Merkel. Damit wies die Kanzlerin die in Deutschland oft geäußerte Furcht vor Technologieklau in China zurück.

Den Chinesen gefiel das. Auf einmal waren sie bemüht, der Kanzlerin die Steine aus dem Weg zu räumen. Premier Wen versprach, entschieden gegen chinesische Hacker vorzugehen. Dem Spiegel-Bericht, so Wen, hätte man große Aufmerksamkeit geschenkt. Er sicherte zu, Vergehen gegen den Schutz geistigen Eigentums intensiver zu verfolgen. Er kündigte an, dass China in den nächsten fünf Jahren weitere Selbstverpflichtungsziele für den Klimaschutz formulieren würde. Und genau um diese Versprechen schien es Merkel zu gehen. Versprechen, die nicht von heute auf morgen erfüllt werden, die aber, so Merkel, "im ständigen Dialog" abgeklopft und weiterentwickelt werden sollen. Damit korrespondierte ihre Sichtweise schon ein bisschen mit dem Entwicklungsdiskurs der Chinesen, die von den Industrieländern immer wieder Geduld verlangen.

Denn bislang hat China schon seine seit 2005 geltenden Reduktionsziele weit verfehlt. Unterstützung bekommt China von der deutschen Industrie, deren Vertreter am Rande des Besuchs drei Verträge unterzeichnet haben, unter anderem im Energiebereich und zur Umwelttechnik.

Am Ende war sogar Jürgen Thumann, Präsident des Bund der Deutschen Industrie (BDI), zufrieden. Als "hysterische Angstmache, die den Ruf nach Nationalismus und Protektionismus wecke", hatte er die China-Kritik der deutschen Medien im Vorfeld des Kanzlerbesuches empfunden. Doch nun war die Kanzlerin dem Ruf der Medien nicht gefolgt. "Selbst wenn China uns als Exportweltmeister bald überholt: Wir sind die großen Gewinner der Globalisierung", sprach sich Thumann in der Großen Halle des Volkes Mut zu. Mit diesem Selbstbewusstsein, das die Gelassenheit des Gewinners und nicht den Neid des Verlierers ausstrahlte, war Merkel in Peking aufgetreten.

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