Tausche Genmais gegen Atomkraftwerk

Eigentlich hatten sich Vertreter von SPD und CDU gestern darauf geeinigt, dass der Atomkonsens unangetastet bleibt. Dafür soll ein neues Gentechnik-Gesetz auf den Weg gebracht werden. Doch dann pfiff Angela Merkel ihre Gesandten zurück

AUS BERLIN HANNA GERSMANN
UND NICK REIMER

Gegen Mittag schien sich der Gefechtsnebel zu legen: Die SPD bekommt grünes Licht für den Atomausstieg, die CDU dagegen das Okay zur grünen Gentechnik. Wie die taz aus Verhandlungskreisen zur Koalition erfuhr, sah so der Deal aus. „Vorbehaltlich der Zustimmung von Angela Merkel“, wie es hieß. Diese Einigung aber verschwand am Nachmittag schon wieder im Nebel: Die designierte Kanzlerin pfiff den Kompromiss zurück.

„Strittig gestellt“ habe die designierte Kanzlerin das Thema, erklärt Ulrich Kelber, der die SPD in den Koalitionsverhandlungen in Sachen Atomkonsens vertreten hatte. Übersetzt heiße dies: „Merkel braucht Verhandlungsmasse an anderer Stelle“, sagte Kelber der taz. Denn inhaltlich sei es der CDU nicht gelungen, „zu untermauern, was längere Laufzeiten wirtschaftlich bringen sollten“. Weil der Atomkonsens „inhaltlich richtig“ sei, glaubt Kelber an seinen Bestand.

Das allerdings scheint längst nicht mehr so sicher. Aus anderen Quellen erfuhr die taz, dass die Debatte um die AKW-Laufzeiten auf die Zeit nach der Kanzlerwahl vertagt werden soll. Ein so genannter Energiegipfel solle dann die Energieversorgung der Zukunft ermitteln – neue Laufzeitdebatten sind in diesem Fall vorprogrammiert.

Genau wie der Ärger um die Gentechnik. Laut einer Forsa-Umfrage vom August sind fast 80 Prozent der Deutschen skeptisch gegenüber Gentechnik eingestellt. Umweltschützer sorgt vor allem, dass sich Pflanzen, deren Erbsubstanz im Labor verändert wurde, unkontrolliert ausbreiten könnten. Dennoch soll laut Verhandlungskreisen ein neuer Passus ins Koalitionspapier: „Das Gentechnikgesetz wird novelliert.“

Das ist eine rot-schwarze Kehrtwende: Die Unterhändler für „Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft“ hatten sich erst letzte Woche darauf verständigt, bei der Gentechnik im Großen und Ganzen alles beim Alten zu belassen. Also rot-grüne Regelungen, die so funktionieren: Fliegt der Genpollen von einem konventionellen Acker auf den eines Biobauern, muss der Genbauer zahlen. Schließlich wird die Ökoernte so verdorben. Das finanzielle Risiko schreckte die Bauern ab, Genpflanzen auszusäen.

Die Union ärgert sich seit langem über diese Hürden. Sie hält die grüne Gentechnik für eine Gewinn bringende „Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts“ Schon im Wahlkampf warb sie deshalb damit, Genbauern zu fördern. Gestern sah es danach aus, als würde die Union ihr Versprechen umsetzen. Angeblich habe Genbefürworter Jürgen Hambrecht Einfluss auf Angela Merkel genommen. Hambrecht ist Chef der BASF, die kräftig an Genpflanzen verdienen will.

Nach taz-Informationen plant die schwarz-rote Koalition jetzt Folgendes: Konzerne oder Universitäten, die zu Forschungszwecken neue Genpflanzen ausbringen, sollen nicht mehr haften müssen. Genbauern müssen nur noch dann für Einkommensverluste anderer aufkommen, wenn ihnen persönlich Schuld nachgewiesen wird. Das heißt, so erklärt Thomas Dosch vom Anbauverband Bioland: „Ein Biobauer muss seinen Nachbarn 24 Stunden lang beäugen.“ Er prophezeit, dass genfreies Essen teuer wird, weil die Bauern für aufwändige Schutzmaßnahmen sorgen müssten.

Viel Nebel also nach wie vor. So viel immerhin schien gestern sicher: Die Verhandlungsgruppe von Union und SPD einigte sich darauf, die Erforschung sicherer Reaktoren nicht nur fortzusetzen, sondern auszubauen. Noch in dieser Legislaturperiode solle darüber hinaus ein Gesetz über die Entsorgung stark radioaktiven Mülls auf den Weg kommen.