Fußballland-Kolumne: Die Bochumer Serie

Eine Bundesliga-Saison ist wie die Staffel einer Fernsehserie. Die Fans kennen ihre Helden in- und auswendig

Raubein Zdebel in Aktion. : dpa

Thomas Zdebel ist nicht Dr. House und schon gar nicht Vic Mackey, der moralisch abgewrackte Held der Polizeiserie "The Shield". Es ist zwar nicht zu übersehen, dass er ein ganz schöner Heißsporn sein kann, und Gelbe Karten für Foulspiele sammelt Zdebel in fast jedem Spiel ein, aber der Mittelfeldspieler des VfL Bochum hat weder Drogenprobleme wie Dr. House aus der gleichnamigen Arztserie, noch ermordet er wie Mackey Kollegen. Trotzdem würde ich sagen, dass ich mit Zdebel bereits seit vier Jahren so lebe, wie man es mit Figuren aus Fernsehserien tut. Außerdem bin ich inzwischen fest davon überzeugt, dass es eine Verbindung zwischen dem Zuschauerboom im Fußball und den nicht minder boomenden Serien im Fernsehen gibt.

Wenn Erklärungen für die in den letzten Jahren spektakulär guten Zuschauerzahlen beim Fußball gesucht werden, ist vor allem immer die Rede davon, dass im Stadion ein Bedürfnis nach Events gedeckt wird. Das ist bestimmt nicht falsch, aber dass so viele Menschen Jahreskarten kaufen, hat damit zu tun, dass Serie nicht zufällig ein Synonym für Saison ist, denn Jahreskarteninhaber wollen keinen Teil der Serie verpassen. Und bleibt man bei dieser Betrachtung, wäre eine Bundesligasaison das, was bei einer Serie die Staffel ist, und produziert jeder Spieltag eine Fülle von Cliffhangern für die Klubs oder für einzelne Akteure. (Bedeutet der erste Auswärtssieg die Wende im Abstiegskampf? Kann sich der junge Stürmer durch sein Tor nach der Einwechselung einen Startplatz sichern? Hat der Coach etwas gegen ihn und wird deshalb bald entlassen? Etc.)

Fußball ist schon oft mit literarischen Begrifflichkeiten beschrieben worden, als Drama mit einer bestimmten Abfolge in Akten etwa oder als große Erzählung. Und vielleicht sind diese neuen Fernsehserien mit ihren seltsamen Helden und ihrem verblüffenden Aufbau wiederum ein aktueller Ausdruck von zeitgemäßem Erzählen. Thomas Zdebel jedenfalls ist mein Held. Er ist zumindest einer der konstantesten Helden in der Serie, die ich am liebsten schaue und die VfL Bochum heißt. Über ein paar kurze Interviews nach Spielen ist mein Kontakt zu ihm nicht hinausgegangen. Und doch kenne ich Zdebel so in- und auswendig, wie es die anderen regelmäßigen Zuschauer der Bochumer Serie auch tun. Wir haben ihn schon triumphieren, aber auch untergehen sehen. Wir wissen, was ihn reizt, wie er seine Gegner nervt. Wir merken, wann er müde wird und wann er einen schlechten Tag erwischt hat.

Ich weiß das auch bei vielen anderen Spielern, die ich oft gesehen habe, auch in anderen Serien, Schalke etwa oder Nationalmannschaft. Und wie mir geht es den Abertausenden, die an jedem zweiten Wochenende ihren Stammplatz einnehmen, um eine weitere Folge ihrer liebsten Serie zu erleben. Sie geben sich nicht nur überraschenden Wendungen des Schicksals hin, sondern verfolgen auch das Auf und Ab der Protagonisten.

Richtigen Spaß macht das vor allem dann, wenn man die Spieler im Laufe der Zeit immer besser kennen lernt, ihre Stärken, aber auch ihre Schwächen und Marotten. Dass etwa Zdebel es auch im 15. Berufsjahr noch immer kaum ertragen kann, ausgewechselt zu werden, selbst wenn er völlig erschöpft oder nur noch ein verrutschtes Tackling von einer Roten Karte entfernt ist. Aber da treffen sich die Charaktere aus dem realen und die aus dem Fiktionalen, denn Dr. House und Vic Mackey räumen trotz modernen Erzählens auch nicht gerne die Szenerie. CHRISTOPH BIERMANN

Christoph Biermann, 46, liebt Fußball und schreibt darüber

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