Scheinbares Wunder

Schweden stellte in den Neunzigerjahren mit Erfolg auf die duale Einkommensteuer um. Arm und Reich sind nun weiter auseinander

STOCKHOLM taz ■ Es erscheint wie ein Wunder: Schweden hat keine Haushaltslöcher, sondern kann meist einen Etatüberschuss verzeichnen. Trotzdem floriert der Wohlfahrtsstaat – denn die Steuer- und Abgabenquote liegt bei 50,7 Prozent. Üblich sind bei den Industriestaaten der OECD nur durchschnittlich 36,3 Prozent. Die Wirtschaft wächst dennoch; 2,5 Prozent jährlich waren es in den letzten zehn Jahren. Wie macht Schweden das? Zumindest teilweise lässt sich dieses Phänomen auch mit der dualen Einkommensteuer erklären, die Schweden – ähnlich wie die anderen skandinavischen Staaten – eingeführt hat. Auch der deutsche Sachverständigenrat hat dieses System gestern vorgeschlagen.

Seit 1990 werden in Schweden Unternehmensgewinne und private Kapitalerträge mit einem einheitlichen niedrigen Satz besteuert: Für Zinsen, Dividenden und Kapitalgewinne werden nur 30 Prozent fällig. Die Arbeitseinkommen hingegen unterliegen weiterhin einer stark progressiven Steuer, deren Spitzensatz bei 55 Prozent liegt. Damit wurden die Firmen entlastet und die Beschäftigten belastet. Zudem liegt die Mehrwertsteuer bei 25 Prozent; für Lebensmittel beträgt sie 12 Prozent.

Mit dieser Reform verabschiedeten sich die Sozialdemokraten von ihrer „Volksheim“-Ideologie, die besagt, dass alle Einkunftsarten gleich zu besteuern sind. Sie verwiesen auf die „neue“ globale Beweglichkeit des Finanz- und Industriekapitals.

Doch wurden die Firmeneigner auch belastet: Sie müssen etwa Gewinne aus Aktienverkäufen versteuern, die in Deutschland steuerfrei sind, sobald die Spekulationsfrist von einem Jahr verstrichen ist. Das trägt dazu bei, dass die schwedischen Unternehmen real mehr Steuern zahlen als deutsche: Die Kapitalbesteuerung macht 10,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus – in Deutschland sind es 8,3 Prozent. Dennoch dürfte die Steuerreform dazu beigetragen haben, dass es bei der Einkommensverteilung zwischen den Reichsten und Ärmsten in Schweden nun die größte Kluft seit Beginn der Siebzigerjahre gibt. REINHARD WOLFF