Türkei: Kalter Krieg in Ankara

Der Disput zwischen der streng laizistischen Armee und der moderat islamistischen Regierung wird immer heftiger. Für weiteren Zündstoff sorgt ein neuer Verfassungsentwurf.

Rotes Tuch für viele: Hayrünisa Gül (l.) mit Kopftuch. Bild: ap

Istanbul taz Dass Staatspräsident Abdullah Güls nach Ostanatolien reist und seine erste Mahlzeit zum Ramadan am Mittwoch mit den dort stationierten Soldaten einnehmen will, sorgt für einen Eklat. Die Diskussionen im Internetforum des Massenblattes Hürriyet spiegeln den tiefen Riss in der Gesellschaft wider: "Das ist der Präsident, den wir uns wünschen", schreibt einer. Ein anderer fragt: "Müssen die Soldaten Gül nun beim Fastenbrechen beweisen, dass sie auch praktizierende Muslime sind?"

Jede Geste und Rede sowohl der Regierung als auch ihres größten Widersachers, der Armee, wird in den Medien auf die Goldwaage gelegt. Aber das hat seine Berechtigung: Beide Seiten stehen sich in der Tat täglich von Neuem kampfbereit gegenüber. Dem ersten großen Empfang des neuen Staatschefs Abdullah Gül im Präsidentenpalast blieb die Armeeführung fern und inspizierte stattdessen in Anatolien die Truppen - ausgerechnet in Kayseri, Güls Heimatstadt. Zum Empfang kam nicht der Vizechef der Armee, sondern demonstrativ der General, der 1997 bei der letzten "Kurskorrektur" der Armee die Panzer durch die Stadt Sincan rollen ließ, damals eine Hochburg der Islamisten. Der Medienwissenschaftler Haluk Sahin vergleicht die türkischen Zustände mit der ehemaligen Sowjetunion: "Die Kremlologen versuchten früher etwa aus der neuen Sitzordnung der Politbüro-Mitglieder auf politische Änderungen in Moskau zu schließen." Die jetzige "Ankaralogie" sei eine "sehr unergiebige und ermüdende Angelegenheit".

Über die Symbole hinaus wird das Land bald auch über handfeste Dinge debattieren. Die AKP ließ in aller Stille einen neuen Verfassungsentwurf schreiben. Er wird wie ein Staatsgeheimnis gehütet und ist außer seinen Urhebern nur einer eigens dafür gebildeten elfköpfigen AKP-Kommission und Erdogan selbst bekannt. "Nur 17 Leute wissen über unsere neue Verfassung Bescheid", kritisiert die linksliberale Tageszeitung Radikal. Juristen weisen darauf hin, dass eine neue Verfassung in öffentlicher Debatte entstehen müsse. "Hinter einem anspruchsvollen Namen steckt eine undurchsichtige, undemokratische Methode", sagt Prof. Ibrahim Kaboglu von der Juristischen Fakultät in Istanbul. Kaboglu befürchtet, dass die Türkei eine "große Chance verpasst, auf die sie schon so lange gewartet hat".

Die neue Verfassung soll die alte von 1982, die noch im Zeichen des Putsches von 1980 stand, ablösen und im Frühjahr 2008 in einer Volksabstimmung beschlossen werden. Der AKP geht es vor allem um die Präambel, aus der der Kemalismus als Staatsideologie entfernt werden soll. Nach dem durchgesickerten ersten Entwurf sollen vor allem der strenge Laizismus aufgeweicht und die Armee nicht mehr verfassungsrechtlich geschützt werden. Der "Nationale Sicherheitsrat", der formal der Regierung Ratschläge erteilt, soll in den Hintergrund gedrängt werden. Offiziere, die wegen "fundamentalistischer Umtriebe" entlassen worden sind, sollen vor einem Zivilgericht dagegen klagen dürfen. Der Entwurf sieht auch indirekt die Zulassung von verhüllten Studentinnen in die Universitäten und die Einführung eines Wahlfachs Kurdisch an den Schulen vor.

Dass die Türkei eine neue, demokratische Verfassung braucht, wird von kaum jemandem bestritten. Dass diese aber ausgerechnet durch die Ex- und für manche Immer-noch-Islamisten geschrieben wird, macht viele misstrauisch. So gerät die künftige Verfassung noch vor ihrem Bekanntwerden zum großen Streitobjekt des kommenden Winters.

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