Wenn die Crowd die Kunst bezahlt

PARTIZIPATION Der Kunstverein Wolfsburg versucht sich an der Finanzierung einer Performance über das Internet. Dabei geht es nicht bloß um Geld, sondern gleich um eine „neue Verbindlichkeit“

Die Summe ließe sich wohl auch mit ein paar Telefonaten beschaffen

Die Hälfte seines Jahresetats muss der Kunstverein Wolfsburg durch selbst beschaffte Drittmittel decken. Diese Akquise, sagt Kunstvereins-Leiter Justin Hoffmann, sei in den vergangenen Jahren nicht leichter geworden. Und angesichts eines Jahresprogramms, das sich unter dem Titel „Upgrade Demokratie“ mit eingespielten, aber auch neuen Weisen der Partizipation befassen wird, lag es also nahe, zumindest projektweise aufs sogenannte Crowdfunding zu setzen: das Einwerben vieler auch kleiner Teilbeträge übers Internet. Im Norden habe damit einzig der Kunstverein Schwerin schon Erfahrung, sagt Hoffmann – allerdings zur Erstellung von Katalogen.

Etabliert ist diese „Schwarmfinanzierung“ seit etwa einem Jahrzehnt in der Musikbranche, auch erste Filmbudgets wurden inzwischen so zusammengebracht. Letztendlich ist diese Vor-Finanzierung nichts grundsätzlich anderes als die altbewährte Subskription: jeder stille Teilhaber erhält das fertige Produkt – etwa als CD oder auch Erlaubnis zur Kopie, manchmal auch mit besonderen Extras. Ungefähr im Jahr 2010 tauchten solche Formen auch in der bildenden sowie darstellenden Kunst auf.

Das Ziel: 2.000 Euro

Mit dem Kunstverein wagt nun eine einzige Institution in der – zugegebenermaßen finanziell gut ausgestatteten – Kommune Wolfsburg diesen Schritt mit der bildenden Kunst: Für die erste Ausstellung im aktuellen Jahresprogramm, Titel: „Qual und Wahl“, soll für den Eröffnungsabend die junge amerikanische Künstlerin Jennifer Grimyser zu einer Performance verpflichtet werden. Geschätzte Kosten: 2.000 Euro.

Sicher ist es nicht diese Summe selbst, die die Wolfsburger zum Mittel des Crowdfunding greifen ließ: Sie ließe sich wohl auch mit ein paar Telefonaten beschaffen. Vielmehr erklärt Kuratorin Jennifer Bork die inhaltliche Absicht so: In Zeiten von Facebook und dem unverbindlichen Klick auf „Like“-Knöpfe will der Kunstverein eine neue Verbindlichkeit in Entscheidungsprozessen erkunden.

Während die Demokratie als gesellschaftliche Daseinsform die permanente Perfektionierung geradezu herausfordere, bauten neue politische Bewegungen wie Occupy oder kulturelle Selbstorganisationsformen auf den Dissens zu den demokratischen Routinen, so Bork weiter. Ein neues Setting scheine auf, individuelle Freiheit und kollektives Reglement müssten wechselseitig immer wieder neu ausgelotet werden.

Als Vorreiter der Politisierung im Kunstbetrieb sowie aktionistischer Formen unmittelbarer Beteiligung zitieren die Wolfsburger Joseph Beuys, der schon in den 1970er-Jahren den Finger in die Wunden legte: Der zunehmenden Wahlmüdigkeit stellte er während der fünften Documenta sein „Büro für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ entgegen – eine Einrichtung zur schnellen Abwahl von Volksvertretern und Amtsinhabern. Auf diesen Aktionsaspekt unmittelbarer und in diesem Fall verbindlicher Zustimmung mit Kleinstbeträgen spielt man nun in Wolfsburg an und macht die Finanzierung eines Kunstprojektes ihrerseits zu einem künstlerischen Thema.

Bei der – im Crowdfunding gern gesehenen – materiellen Gegenleistung zeigt der Kunstverein sich übrigens großzügig: Wer beispielsweise gleich 1.000 Euro spendet, erhält dafür zwei Jahresgaben. BETTINA MARIA BROSOWSKY

Auf www.startnext.de/change-is-now können sich Unterstützer registrieren. Dieser Tage startet mit Beträgen ab fünf Euro die Finanzierungsphase für die Performance von Jennifer Grimyser am 21. Februar