Zwei Jahre schutzlos

VON ULRIKE WINKELMANN

Nach dem Willen der Großkoalitionäre kann die Probezeit faktisch von 6 auf 24 Monate ausgeweitet werden. In dieser Zeit soll ohne Grund und Abfindung binnen vier Wochen gekündigt werden können. Der Kündigungsschutz, durch den ein Arbeitnehmer sich den Verbleib im Job oder eine Abfindung erstreiten kann, gelte dann erst zwei Jahre nach Einstellung.

Im Gegenzug werde die bisher mögliche Befristung von Arbeitsverhältnissen auf zwei Jahre abgeschafft, sagte Unions-Fraktionsvize Ronald Pofalla (CDU) gestern in Berlin. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß verteidigte die Einigung. Sie sei „auch für die Gewerkschaften ein tragbarer Kompromiss“. Dieser, gab SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner zu, wäre zwar „ohne die große Koalition nicht geschlossen“ worden. Er schaffe aber auch „Transparenz“.

Faktisch ist eine befristete Beschäftigung auch nicht mehr nötig, wenn umstandslos gekündigt werden kann. Viele Befristungen dienten bislang ohnehin als verlängerte Probezeit – allerdings mit Kündigungsschutz nach einem halben Jahr. Deshalb ist die neue Regelung selbst für befristet Beschäftigte eine Verschlechterung.

Zwar brachen die Gewerkschaften gestern nicht in Wutgeheul aus – sie wissen, dass noch ganz andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auf dem Verhandlungstisch liegen. Doch warnte die DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer: Sieben Millionen Arbeitnehmer verlieren jährlich ihren Job oder suchen freiwillig einen neuen. „Durch diese hohe Fluktuation am Arbeitsmarkt wäre der Kündigungsschutz auf kurze Sicht praktisch ausgehebelt.“

Der Arbeitgeberseite ist genau dies jedoch ein Anliegen. Die Wirtschaftssachverständigen alias Wirtschaftsweisen, die gestern ihr Gutachten präsentierten (siehe Seite 3), empfahlen der neuen Regierung zwei Varianten zur Flexibilisierung des Kündigungsschutzes: Entweder solle der Arbeitnehmer individuell auf den Kündigungsschutz komplett verzichten können – bei höherem Lohn oder entsprechender Aussicht auf Abfindung. Oder der Kündigungsschutz solle generell aufgehoben werden bei gleichzeitig verbindlichen Abfindungsregelungen.

Eine Einigung der Koalitionäre hierzu wird heute oder morgen erwartet. Die Union fordert bisher, dass die Arbeitgeber eine solche Vereinbarung einseitig aufkündigen können sollen, die SPD ist dagegen.

Der oberste Wirtschaftsweise Bert Rürup behauptete zwar auch nicht, dass durch lockereren Kündigungsschutz Jobs geschaffen würden. Doch würde so der „Turnover“ vergrößert: Es entstehe mehr Zu- und Abgang am Arbeitsmarkt, und möglicherweise bekämen auch Langzeitarbeitslose wieder einmal eine Chance.

Dass die Struktur der Arbeitslosigkeit sich bei geringem Kündigungsschutz ändert, bestätigt etwa das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg zuarbeitet: Die Regelungsdichte habe zwar kaum oder keine Auswirkung auf das „Niveau von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit“. Doch erhöhe ein starker Kündigungsschutz nach Studienlage „den Anteil der Langzeitarbeitslosen und verlängert die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit“, schrieben IAB-Experten 2003.

Vorsichtig gehen Arbeitsmarkt- und Sozialwissenschaftler grundsätzlich mit Ländervergleichen um. So wird zwar gerne darauf verwiesen, dass es zum Beispiel in Dänemark, einem nicht als unsozial verschrienen Staat, ebenfalls geringeren Kündigungsschutz gebe. Doch zählt zur Einschätzung, wie sicher Arbeitnehmer sind, welche Chancen Arbeitslose haben und wie es dabei der Wirtschaft geht, das ganze Bild: In Dänemark etwa wird geringer Kündigungsschutz durch sehr hohes und lange laufendes Arbeitslosengeld kompensiert.

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