Innere Sicherheit: Die allgemeine Angst
Die Gefahr terroristischer Anschläge ist zwar unsichtbar, aber dennoch dräuend. Innenminister Schäuble (CDU) weiß, wie wir damit umzugehen haben: mit getroster Verzweiflung.
Heute begeht Dr.Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Inneren, seinen 65. Geburtstag. In der langen Reihe der Gratulanten finden wir den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands, Bischof Wolfgang Huber. Der Kirchenmann dankt Gott, dass er Schäuble "durch schwerstes Leid hindurch bis hierher getragen hat". Für Bischof Huber hat der Innenminister "durch seine analytische und konzeptionelle Kraft die Innen-, Sicherheits- und Außenpolitik Deutschlands in bemerkenswerter Weise geprägt".
Tatsächlich sind gerade die jüngsten Äußerungen Schäubles vom Wochenende zu einem drohenden terroristischen Anschlag mittels "nuklearen Materials" nur auf dem Hintergrund seiner protestantischen Überzeugungen erklärbar. Zwar seien - nach Schäuble - viele Fachleute davon überzeugt, "dass es nur noch darum gehe, wann ein solcher Anschlag kommt, und nicht, ob er kommt". "Aber", so Schäuble, "ich rufe dennoch zu Gelassenheit auf. Es hat keinen Zweck, dass wir uns die verbleibende Zeit auch noch verderben, weil wir uns vorher schon in eine Weltuntergangsstimmung versetzen". Galgenhumor als Regierungsmaxime des Innenministers? Keineswegs. Wir haben hier den reinen Ausdruck des Luthertums vor uns. Schrieb doch der Reformator schon 1516, dass wir nur durch getroste Verzweiflung unseren Frieden finden können. Wer getrost verzweifelt, wird niemals der Panik verfallen.
Aber getroste Verzweiflung bedeutet keineswegs, die Hände in den Schoß zu legen. Hier betritt Thomas Hobbes, britischer Staatsphilosoph des 17.Jahrhunderts, die Schäublesche Szenerie. Den "Leviathan", Hobbes Hauptwerk, trägt er stets zitierbereit bei sich. In diesem Werk ist er so firm wie in der Bibel. Und nicht nur Paulus Diktum im Römerbrief "Jedermann sei unterthan seiner Obrigkeit" steht ihm zu Gebote, sondern auch der Satz von Meister Hobbes: "Die Aufgabe des Souveräns, ob Monarch oder Versammlung, ergibt sich aus dem Zweck, zu dem er mit der souveränen Gewalt betraut wurde, nämlich der Sorge für die Sicherheit des Volkes". Dieser Satz bildet das Prunkstück in Schäubles Bekenntnisartikel "Von der Schutzpflicht des Staates", den er Anfang des Jahres verfasste.
Schäuble ist der Meinung, dass die Institution Staat von ihrer Funktion als Friedens- und Ordnungsmacht "ihre eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet". Das "Grundrecht auf Sicherheit", das nicht im Grundgesetz steht, ist für ihn das Muttergrundrecht. Nur so ist zu verstehen, dass er Hobbes These, dem Leviathan sei von den schutzbedürftigen Bürgern "die souveräne Gewalt" übertragen worden, positiv aufnimmt. Freiheit wird gegen Sicherheit eingetauscht und keineswegs werden Freiheit und Sicherheit ausbalanciert, wie Schäuble uns glauben machen will.
Während Hobbes "Leviathan" nach einem verheerenden Bürgerkrieg in England auf reale Sicherheitsbedürfnisse eine allerdings autokratische Antwort gab, liegt für Schäuble gerade das Problem darin, dass die Bevölkerung sich hierzulande hartnäckig weigert, einem Gefühlszustand diffuser Furchtsamkeit anzuhängen. In der öffentlichen Meinung wird darauf bestanden, der Innenminister solle statt eines allgemeinen Bedrohungsszenarios konkrete Gefahrenmomente nennen, wo immer seine Experten von ihnen Kenntnis erhalten. Solche Aufforderungen sind gut gemeint, verfehlen aber Schäubles eigentliche Absicht. Ihm geht es nicht um Maßnahmen, die auf reale Furcht angesichts realer Bedrohung antworten. Sondern darum, einen Zustand allgemeiner Angst herbeizuführen, der seiner Version des Sicherheitsstaates, des modernen Leviathan, erst Plausibilität verleiht. Ganz so, wie die konservative Kriminalpolitik die allgemeine Verbrechensangst schürt, statt sich mit der konkreten Kriminalitätsstatistik auseinanderzusetzen. Ist der Zustand allgemeiner Angst erst erreicht, so lässt sich jeder beliebige Katalog von Sicherheitsgesetzen durchsetzen.
So bleibt für den rüstigen Jubilar noch der steinige Weg der Überzeugungsarbeit angesichts eines unglaublich leichtfertigen Umgangs der Bevölkerung mit der unsichtbaren, aber dräuenden Gefahr. Denkt er manchmal, nur ein massiver terroristischer Anschlag würde einen Umschlag herbeiführen? Aber nein. Ein so unchristlicher Gedanke sei fern von ihm, vor allem an seinem 65. Geburtstag.
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