Zwischen Ekstase und Einkehr

SEELEN-MUSIK-FESTIVAL Menschheitsgeschichte als Puzzle, Marienmesse und Sufi-Gesänge: Das Festival „Lux Aeterna“ will in Hamburg einen Monat lang spirituelle Musik aus unterschiedlichen Epochen, Kulturen und Genres zum Leuchten bringen

Den Großteil des Programms macht christliche geistliche Musik aus

VON ROBERT MATTHIES

Kosmopolitisches Kind der globalen Popkultur ist Sidi Larbi Cherkaoui, Sohn eines muslimischen Marokkaners und einer katholischen Belgierin. Seine ersten Tanzschritte hat der flämische Choreograf, der für seine innovative Arbeit in umjubelten multimedialen Tanztheaterstücken wie „Babel (Words)“, „Sutra“ und „Play“ unter anderem den Prix Nijinski, den Movimentos-Preis und den Kairos-Preis erhalten hat, vor MTV-Clips und Bruce Lee-Filmen geübt.

Und auch vom japanischen Mangazeichner Osamu Tezuka, dem er mit seinem Ensemblestück „TeZuka“ 2011 eine opulente Hommage gewidmet hat, hat der 36-Jährige viel gelernt. Wie man Bildwelten vom ersten Strich, vom ersten Schritt auf einer leeren Bühne an zum Leben erweckt und dass man, als Tänzer und als Kalligraph, genau wissen muss, an welcher Stelle, mit wie viel Energie man Pinsel oder Fuß aufsetzen muss, damit das Zeichen gelingt. Dass Tanz- wie Comicbilder deshalb eine so ausdrucksstarke Sprache sind, weil man sie kulturübergreifend auf der ganzen Welt versteht. Und dass ein Choreograf im Grunde nichts anderes macht als Bilder mit Bewegungen zu zeichnen.

Kulturübergreifend angelegt ist auch Cherkaouis auf dem Theaterfestival in Avignon im letzten Jahr uraufgeführte Arbeit „Puz/zle“. Gemeinsam mit dem korsischen Männergesangssextett A Filetta, der libanesischen Mezzosopranistin Fadia Tomb El-Hage, dem japanischen Multiinstrumentalisten Kazunari Abe und elf Tänzer_innen untersucht Cherkaoui die Bestandteile, die das Puzzle der menschlichen Beziehungen ausmachen, lässt zwölf quadratische Platten zu archaischen Formationen anordnen, seine Tänzer_innen miteinander ringen und einen Abtrünnigen steinigen, gegen Wände anrennen, immer wieder durch dieselbe Tür laufen, zu Skulpturen erstarren und schließlich ins Grab sinken. Lässt Barockes, Gregorianisches und arabische Litaneien, korsische Hirtengesänge und japanische Trommelrituale miteinander verschmelzen und eröffnet damit einen Raum jenseits und vor der Trennung von Tradition und Moderne, Orient und Okzident, Ost und West, Kulturen, Religionen und Sprachen: Eine Geschichte des Menschen als Puzzle, als beständiger Prozess der Verdichtung irreduzibler Vielfalt.

Gewissermaßen wie eine Klammer umfasst Cherkaouis Stück als einzige Tanztheaterproduktion damit die rund 25 Konzerte des Hamburger Festivals Lux aeterna, das als „Musikfest für die Seele“ einen Monat lang spirituelle Musik aus unterschiedlichen Epochen, Kulturen und Genres gemeinsam zum Leuchten bringen will. Aus einer ganz und gar diesseitigen Motivation heraus: Zur Erholung der vom hektischen Alltag gestressten Seele, als Besinnung auf „innere Werte“.

Ins Boot geholt hat sich die Elbphilharmonie dafür die großen Musikinstitutionen der Stadt: Die Hamburger Symphoniker und das Ensemble Resonanz, der NDR Chor und NDR Das Alte Werk, die Konzertdirektion Karsten Jahnke, Kampnagel, drei der fünf Hamburger Hauptkirchen und die Kulturkirche Altona, Kampnagel und das kommunale Kino Metropolis.

Den Großteil des Programms macht dabei trotz aller Beschwörung universeller Spiritualität christliche geistliche Musik aus. Zur Eröffnung am Samstag bringt etwa der katalanische Gambist und Alte-Musik-Spezialist Jordi Savall im Michel gemeinsam mit seinen Ensembles Le Concert des Nations und La Capella Reial de Catalunya Monteverdis Marienvesper zur Aufführung. Das norwegisch-schwedische Vokal-Trio Mediæval präsentiert mit dem Berliner Videokünstler Lillevan eine aus mittelalterlichen Manuskripten aus dem Kloster St. Mary’s in Worcestershire rekonstruierte „Ladymass“ für die Jungfrau Maria und der NDR Chor widmet sich den Tenebrae.

Lediglich drei Konzerte entfliehen dabei dem im weitesten Sinne abendländischen Kontext. Die malische Sängerin Fatoumata Diawara macht zwischen westafrikanischen Rhythmen, Jazz und Funk denn auch nur im weitesten Sinne spirituelle, nämlich: nachdenkliche Musik. Und auch Asaf Ali Khan hat die Ekstase des indisch-pakistanischen Qawwali vor allem aus ihrem religiösen Zusammenhang gelöst und mit indischem Pop und Dub verknüpft.

■ Hamburg: Sa, 2. 2. bis Mo, 4. 2., in der Laeiszhalle, im KörberForum, auf Kampnagel, im Metropolis-Kino und in Hamburger Kirchen, www.elbphilharmonie.de